Ungarn sollen Rumänisch sprechen

■ Ungarische Minderheit in Siebenbürgen protestiert gegen das neue Bildungsgesetz

Odorheiu Secuiesc (taz) –Nur an einer Stelle glitt der Ton der Kundgebung ins Nationalistische ab. Ein Schauspieler rezitierte den „Psalmus hungaricus“ des ungarischen Dichters Jenö Dsida: Mord, Totschlag und Blut für die ungarische Sache. Symbolischerweise fiel während der Rezitation mehrmals die Lautsprecheranlage aus, und so wurde die Beschreibung des Massakers zu einer Parodie.

Ansonsten blieb der Ton auf der Kundgebung zivil und bürgerrechtlich. Etwa 15.000 Menschen waren am Sonnabend nachmittag in der siebenbürgischen Kleinstadt Odorheiu Secuiesc zusammengekommen, um gegen das neue rumänische Bildungsgesetz zu protestieren, das im Juni vom Bukarester Parlament verabschiedet worden war und in der letzten Woche in Kraft trat. Die Kundgebung war der Auftakt zu einer Reihe von Protestveranstaltungen gegen das Bildungsgesetz.

Ziel dieses Gesetzes ist die „Bewahrung der nationalen Identität“ der Rumänen. Daher bestimmt es das Rumänische als verpflichtend zu erlernende „Unterrichtssprache auf allen Ebenen“. Für Minderheiten ist zwar die Möglichkeit vorgesehen, daß sie „auf allen Ebenen“ ihre Muttersprache benutzen können – allerdings mit zahlreichen Einschränkungen.

So etwa müssen rumänische Literatur, Geschichte der Rumänen (nicht Geschichte Rumäniens) und Geographie Rumäniens in rumänischer Sprache gelehrt werden. An Hochschulen besteht lediglich die Möglichkeit von freiwilligen Zusatzkursen in den Muttersprachen der Minderheiten. Formulierungen wie „bei Bedarf“ und „mit Genehmigung des Bildungsministeriums“ bieten dem Staat eine Handhabe, die Ansprüche der Minderheiten zurückzuweisen.

Bisher hatte gegen das Gesetz nur die parlamentarische Interessenvertretung der 1,6 Millionen Ungarn protestiert, der „Demokratische Verband der Rumänischen Ungarn“ (RMDSZ). Doch dessen Entwurf für ein Bildungsgesetz ignorierte das Parlament. Während radikale RMDSZ-Politiker kurz nach der Verabschiedung noch von „kulturellem Völkermord“ gesprochen hatten, überwogen auf der Kundgebung realitätsnähere Töne. RMDSZ-Präsident Béla Markó sprach davon, daß die Rechte der rumänischen Mehrheit keineswegs verletzt würden, wenn die Ungarn ihre Rechte forderten. Andere Redner sprachen von einer „schleichenden Assimilierung“. Konkrete Forderungen der Ungarn sind die Selbstbestimmung im Unterrichtswesen; auch weiterhin sollen ungarischsprachige Studiengänge an Universitäten zugelassen werden; Geschichte und Geographie Rumäniens müßten in der Muttersprache unterrichtet werden.

Auch andere Minderheiten wie die Roma, die Deutschen und die Slowaken haben ähnliche Forderungen aufgestellt. Die Chancen, daß sie erfüllt werden, liegen aber nahezu bei null. Rumänische Politiker berufen sich darauf, daß es anderswo auch keine besseren Gesetze gebe. Der OSZE-Beobachter für Rumänien hatte dies letzte Woche ebenfalls behauptet, beide Seiten aber zugleich zum Dialog aufgefordert. Die Ungarn wollen nun eine Überprüfung des Gesetzes durch den Europarat beantragen. Keno Verseck