Mountainbike ohne Nachfolger

Die „Eurobike“ war eine bunte Messe mit grübelnden Fahrradherstellern, die immer weniger verkaufen  ■ Aus Friedrichshafen Hans-Joachim Zierke

Für Weltfirmen gibt es nichts Schöneres als Weltprodukte, Dinge, die sich unverändert überall verkaufen lassen. Das Mountainbike war ein erfolgreiches Weltprodukt der Fahrradindustrie. Um so mehr jammerte die Fahrradbranche bei der Friedrichshafener Fahrradmesse „Eurobike“, daß es sich heute nicht mehr absetzen läßt – wobei das aber nur die subjektive Wahrnehmung vom Boom verwöhnter Fahrradhersteller ist. „Selbstverständlich werden weiterhin Mountainbikes verkauft“, sagt Bernhard Lange, der deutsche Shimano-Importeur, hierzu. „Künftig wird das Mountainbike einen stabilen Marktanteil von 30 bis 35 Prozent haben, vielleicht sogar 40 Prozent.“

Die Branche aber sieht sich in der Krise. Zahlreiche Hersteller stehen vor dem Aus. Herkules, der älteste deutsche Fahrradbauer, wurde erst kürzlich von einer niederländischen Holding übernommen.

Im vorigen Jahr wurden immerhin 15 Prozent weniger Fahrräder beim Handel angeliefert als im Jahr davor. Auch dieses Jahr werden sich die Verkaufszahlen noch einmal verringern. In Wahrheit allerdings gibt es im Fahrradhandel keinen Einbruch, sondern nur eine Normalisierung, die aber bereits seit Jahren vorhergesagt wurde.

Man hat einfach keinen Ersatz gefunden nach dem Boom der Geländefahrräder. Insbesondere ist die Rückeroberung der Straße für das Fahrrad gründlich mißlungen. Die mitteleuropäischen Länder gehen mit einer Benutzungspflicht für sogenannte „Radverkehrsanlagen“ erfolgreich gegen den Breitensport vor. Auch die vielbeschworene Wiederentdeckung des Rennrades ist ausgefallen, und Liegeräder, die ohne krummen Buckel Rennradgeschwindigkeit ermöglichen, haben bisher allenfalls bei jungen männlichen Akademikern nennenswerte Marktanteile erreicht.

Leicht läßt die Medienpräsenz des Sports vergessen, daß ungefähr die Hälfte der in Deutschland verkauften Fahrräder nach wie vor mit einer Nabenschaltung ausgerüstet sind. Dies ist die Domäne von Sachs, auch wenn Shimano bei Naben mit sieben Gängen stark aufgeholt hat. Und genau hier werden für 1996 Steigerungen erwartet. Um vom Ruf der „Oma-Nabe“ wegzukommen, hat man in den USA die 7-Gang-Naben sogar im Downhill-Rennsport einzusetzen versucht, was auf der Messe stolz präsentiert wurde.

Derlei Klimmzüge sind noch häufiger zu erwarten: Weil sich die Altersstruktur der mitteleuropäischen Bevölkerung stark nach oben verschiebt, sieht sich die Industrie gezwungen, komfortorientierte, wartungsarme Fahrräder mit einem jugendlich sportlichen Image zu versehen.

Weitgehend unbemerkt ist Shimano dazu übergegangen, Alltagskomponenten zuerst in Japan zu verkaufen und erst nach mehrjähriger Marktbewährung in Europa anzubieten. Dies gilt etwa für den diesmal noch verschämt in einem Eckchen gezeigten Nabendynamo. In Japan wird er zusammen mit einem Scheinwerfer verkauft, der per Diode das Umgebungslicht mißt und vollautomatisch die Fahrradbeleuchtung zu- und abschaltet.

Diese sachlich sinnvolle Systemlösung ist mit deutschen Zulassungsvorschriften allerdings kaum vereinbar. Eine deutsche Fahrradlampe wird nur dann zugelassen, wenn sie mit jedem behördlich anerkannten Dynamo kombiniert werden kann.

Im Gegensatz zu Schimano hat Sachs mit seinem guten Stand im Alltagsbereich die USA zum Schwerpunkt erkoren, insbesondere soweit es um die Einführung neuer MTB-Komponenten geht: „Um unsere hier neu vorgestellten MTB-Teile an europäische Hersteller verkaufen zu können, müssen wir vorher auf dem US-amerikanischen Markt erfolgreich gewesen sein. Das, denke ich, sagt alles über die europäische Fahrradindustrie“, erläuterte ein Firmenangehöriger, der lieber ungenannt bleiben möchte.

Der überall gezeigte Optimismus, im Jahr 1996 mehr Fahrräder, insbesondere Alltagsräder, verkaufen zu können, dürfte allerdings vor allem dazu dienen, die eigenen Banken zu beruhigen. Zwar werden die Verkehrsprobleme in den Innenstädten sicher weiter zunehmen, und zu Recht verweist man darauf, daß man EU-weit nicht 15, sondern 30 Millionen Fahrräder verkaufen könnte, wenn überall niederländische Verhältnisse herrschten. Auch unterstützt die große Mehrheit der EU- Bürger in Umfragen Verkehrslösungen, die das Fahrrad gegenüber dem Auto bevorzugen. Dies alles bedeutet aber keineswegs, daß tatsächlich eine entsprechend fahrradfreundliche Politik praktiziert wird.

Und der Lobbyismus der europäischen Fahrradindustrie setzt bisher nicht auf die Ausweitung des Marktes durch fortschrittliche Verkehrspolitik, sondern auf Protektionismus: Durch Anti-Dumping-Strafzölle hat die Europäische Union die Importe aus der Volksrepublik China von 1,7 Millionen Fahrrädern 1992 auf 50.000 im Jahr 1994 absenken können.