Vorschlag

■ Denkzeit für Normal- bürgerInnen: Helium im Knaack-Club

Da steht sie nun etwas ratlos herum, unsere ehemals so geliebte amerikanische Indieschar: Seit Jahren graben ihr die Großmeister des alternativen Rocks mitsamt den schweren, tieftönenden Varianten wie Kuyss oder Monster Magnet alle Märkte und Fans ab – übrig bleiben da nur die paar bleichen Jungs aus den Hinterzimmern mit ihren elenden Homerecordern. Und was es sonst noch an alten Strukturen gab, das haben Pavement in alle möglichen Teilchen zerlegt. Mit Helium aus Boston – einer Stadt, die auch schon größere Tage als rocking Epizentrum gesehen hat – darf man sich jedoch mal wieder an ein paar helleren, glücklicheren Momenten delektieren. Abgesehen davon, daß dieser Band eine ziemlich charismatische Sängerin als intellektuelles Headquarter vorsteht, wird hier mal wieder ein Sound produziert, der sich nicht nur in den kleinen, niedlichen Schrummschrumms erschöpft. Zwar sind die Songs auf dem Debüt-Album „The Dirt of Luck“ beim oberflächlichen Hören nicht unbedingt die slicke Offenbarung: zu statisch, zu hermetisch abgeriegelt wirken sie, Nüchternheit ist da der erste Trumpf. Doch nach und nach wird Raum geschaffen, verschieben sich in den Stücken mehrmals die Geschwindigkeiten, werden Feinheiten herausgearbeitet. Erinnern tut das manchmal an frühe Sonic Youth, gelernt haben Helium sicher auch einiges von Pavement, und wenn man will, standen noch My Bloody Valentine Pate, besonders was das Kreisen um eigene Achsen betrifft, das trotzdem Raumzuwachs verspricht. Zudem erinnert Sängerin Mary Timony in dem Maß an MBV, wie sie sich zumeist sehr hell durch die Songs lautet: Fragil könnte man es nennen, doch wenn sie leise ihr Organ runterfährt, wird es zugleich stärker und zupackender. Begeisterungsstürme löst die Dame mancherorts auch durch ihre Lyrics aus, die des öfteren Volltreffer gegen männliche Macht- und Unterdrückungspraktiken landen, die Mary Timony jedoch nicht direkt bei sich selbst geortet haben möchte, um damit jegliche Form von identifizierenden Festschreibungen zu verweigern, und die sich dann auch als schöne Popgeschichten lesen lassen. Als Denkzeit für NormalbürgerInnen eröffnen sich da zusammen mit den klug abgeleiteten Soundscapes neue Schneisen im Indie-Land. Den Rest des Abends gestalten Railroad Jerk und Bailter Space; erstere eine New Yorker Band, die sich punkrockmäßig am Blues abarbeitet, nachzuschlagen wäre da unter Jon Spencer, den Oblivians und anderen Crypt-Bands; die zweiten eine Band aus Neuseeland, die mit ihrem selbstzufriedenen Einnisten in einmal gefundene Soundstrukturen, in ihrem Verzicht auf Neues mehr Elend als Freude verkörpert. Gerrit Bartels

Helium, Railroad Jerk, Bailter Space, ab 21 Uhr im Knaack- Club, Greifswalder Straße 224, Prenzlauer Berg