Pinkeln ist kein Menschenrecht

■ Ein Behindertenklo auf 28 Quadratkilometern: Nach der neuen Bauordnung soll das so bleiben. Grüne sind dagegen

Klaus Fischbach, an Muskelschwund leidender Rollstuhlfahrer, will nicht jammern und klagen, sondern nur normal leben. Aber er kann nicht: „Ich ärgere mich maßlos, daß ich zu Hausarrest verurteilt werde, weil jeden Tag Tausende von neuen Barrieren gebaut werden.“ Das allerschlimmste für Leute wie ihn seien die fehlenden Toiletten. Für rund 23.000 Rollstuhlfahrende gibt es 39 öffentliche Klos, das heißt eines auf 28 Quadratkilometern. Und in den rund 10.000 Berliner Gaststätten sind es insgesamt weniger als 20 solcher Örtchen. „Wenn ich zu einer Veranstaltung möchte, muß ich mit Riesenaufwand herausfinden, ob dort eine Toilette ist. Oder ich muß Windeln anlegen – und das lehne ich ab.“ Obwohl „fit wie sonstwas“, werde er auf diese Weise als Behinderter vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen.

Der Rollstuhlfahrer trat gestern bei einer Pressekonferenz der Bündnisgrünen auf. Anlaß: die drohende Verabschiedung der neuen „behindertengerechten“ Bauleitlinien des Senats morgen im Bauausschuß und am Donnerstag im Abgeordnetenhaus. „Leidlinien statt Leitlinien“, schimpft die baupolitische Sprecherin der Grünen, Elisabeth Ziemer.

Zugleich erinnerte sie an die Geschichte jener „Leitlinien“. In dem mit Behindertenverbänden entworfenen und von SPD-Sozialsenatorin Ingrid Stahmer im September 1992 vorgelegten Entwurf seien große Ansprüche formuliert worden. Danach sollten öffentliche und private Neubauten prinzipiell behindertengerecht erstellt und bestehende Anlagen umgebaut werden. Den Worten aber seien keine Taten gefolgt, so Ziemer, auch nicht als ihre Fraktion einen eigenen, weitergehenden Gesetzentwurf formulierte.

Im April dieses Jahres legte der Senat nun seinen eigenen Vorschlag vor. „Nur noch ein trauriger Abklatsch der einstigen Formulierungen“, findet die Grüne. Die Behindertenverbände sollen nicht mehr beteiligt werden, die Verpflichtung zum barrierefreien Bauen sei für Privatbauten gestrichen worden, der Umbau bestehender öffentlicher Anlagen sei durch eine schwammige Kann-Bestimmung ersetzt worden. Alles in allem „ein Skandal“.

Jurist Klaus Fischbach wittert sogar „Verfassungswidrigkeit“. Nach der neuen Berliner Landesverfassung muß der Staat nämlich für die Gleichstellung von Behinderten und Nichtbehinderten sorgen. Selbst die CSU sei hier mit der bayrischen Bauordnung weiter. Dabei wäre laut Fischbach eine „schnelle Überarbeitung machbar“ und seien großzügige Regelungen für einen Übergangszeitraum durchaus denkbar: „Es geht darum, einen Anfang zu machen und die rechtlichen Rahmenbedingungen zu ändern.“

Aber die Abgeordneten können beruhigt sein: Klaus Fischbach wird ihnen am Donnerstag nicht zu Leibe rücken. Denn neben den teuren neuen Behindertenklos im Preußischen Landtag ist auch die Zuschauertribüne für Rollstuhlfahrer unzugänglich. Ute Scheub