Kalter Krieg der Kunst

■ Die Ausstellung "Berlin - Moskau 1900 - 1950" dokumentiert die Vermischung der Kulturmetropolen - bis zur NS- und Stalin-Diktatur

Rot ist der Keil der Revolution, schwarz das Monument des Terrors und der Trauer. Bis zu 16 Meter hoch verbarrikadiert die Installation, die Daniel Libeskind für die Ausstellung „Berlin – Moskau Moskau – Berlin 1900 – 1950“ entworfen hat, den Lichthof des Martin-Gropius-Baus. An dieser Sperre verstummt die Kunst. Beinahe leer bleiben ihre Wände, die sich durch den Bau schieben. Wenige Inkunabeln des Konstruktivismus – wie Malewitschs „Schwarzes Quadrat“ – hängen an den Ausläufern des roten Keils, der in das große Ausstellungskapitel „Russen in Berlin“ hineinragt. Eine schmale Schiene mit Dokumenten der deutschen Emigranten, die nach 1933 im Moskauer Exil unter stalinistischen Druck gerieten, durchbricht die schwarze Wand. Im oberen Rundgang trennt sie die plakativen Illustrationen der Illusionsmaschinen, zu denen Nationalsozialismus und Stalinismus die Künste degradierten, von kleinformatiger Kammerkunst, vom Rückzug in Stilleben, Landschaften, Portraits.

Der Rückblick auf die erste Hälfte des Jahrhunderts in Moskau und Berlin kommt fast ohne Kommentare aus. Über 37 Räume hinweg erzählen Bilder, Skulpturen, Fotografien, Bühnenmodelle, Architekturzeichnungen und Filmplakate eine Geschichte von ästhetischer Verwandtschaft und politischer Feindschaft. Daß die Träume von einer „Internationale der Kunst“ zerbrechlich waren, belegt schon der Anfang. Mögen sich die expressionistischen Aufbrüche in Rußland und Deutschland noch so sehr in der vitalen Farbigkeit entsprechen, rasen durch Bilder beider Länder auch die gleichen Linien von Technikbegeisterung, und gleichen sich gar ihre apokalyptischen Visionen vom Weltenende – so markiert der Erste Weltkrieg einen deutlichen Bruch. Bilder der Furcht (Beckmann, Kollwitz) stehen kubistischen Formzersplitterungen russischer Maler gegenüber, deren Blick von der Kriegsmaschinerie gebannt war.

Den Mittelpunkt der Beziehung zwischen Moskau und Berlin bilden die russischen Konstruktivisten. Aufgrund einer die Formexperimente ablehnenden Kulturpolitik von Moskau nach Berlin (und Paris) gespült, wurde der Konstruktivismus zu einem Impulsgeber für Architektur und Stadtplanung, für neue Perspektiven in der Fotografie, für eine Umstrukturierung von öffentlichem und Bühnenraum. Und dennoch war die Kunst russischer Emigranten dort, wo sie ihre größte Energie als Schubkraft der Moderne entfaltete, schon um ihre teuerste Hoffnung gebracht – die direkte Teilhabe an der Verbesserung der Lebensbedingungen in Rußland.

Den russischen Input der Moderne zu betonen ist schon lange ein Sammlungs-Schwerpunkt der Berlinischen Galerie, die die Ausstellung zusammen mit dem Staatlichen Puschkin-Museum in Moskau erarbeitet hat. Zum ersten Mal aber werden darüber die Bilder der Diktaturen geblendet, die den sozialen Utopien der Künstler keine Chance zur Verwirklichung ließen. Ausgebreitet in ihrer Komplizenschaft mit der Macht, bedeutet dies auch eine Entheroisierung der Kunst. Vor allem die Malerei verliert, je näher sie der Macht rückt, ihr Reflexionspotential der zwanziger Jahre völlig.

Doch im Nebeneinander von unterdrückter und triumphierender Kunst zeigt sich auch, daß die sauberen Trennungen zwischen revolutionärer Dynamik und totalitärem Pathos so einfach nicht sind. Gerade in der Architektur, die als wirklichkeitsmächtigste der Künste die gesellschaftliche Umgestaltung in die Hand nehmen wollte, geraten die Zuordnungen ins Wanken. In der Begeisterung für den großangelegten Entwurf neuer Lebensformen beteiligten sich zum Beispiel viele Architekten der Moderne – wie Walter Gropius, Hans Poelzig oder Naum Gabo – an Wettbewerben für den neuen Architektur-Typus der Massenpaläste. Wenn ihre Beiträge auch ohne Erfolg blieben, so trugen sie doch die Idee des breiten Eingriffs in den Stadtraum mit, der viele kleinteilige Funktionen des öffentlichen Lebens in sich aufsog. Die Idee der Verdichtung des städtischen Raums im Hochhaus verwandelte sich in der Rezeption der Diktaturen in ein Symbol der Macht; die Entzerrung des Siedlungsraums in der Zeilen- und Scheibenbauweise bereitete die Normierung und Kontrolle des sozialen Raums vor.

Die aus der Kunstgeschichte oft verbannten Gespenster der faschistischen und stalinistischen Monumentalkunst sind überraschend höchstens in ihrer Banalität. In Ost und West glichen sich die kleinbürgerlichen Ideale der Familienidylle, die eine glückliche Zukunft versprechenden Kulissen, die historischen Maskeraden. Verblüffend bleibt allein, wie diese Verkürzung der Kunst auf Gesten der Repräsentation nicht schon damals mit Papiergeraschel zusammenstürzte – es sei denn, man versteht sie als Requisiten eines großen Medienapparates.

Dennoch werden Unterschiede sichtbar im diktatorischen Zugriff auf die Kunst. Anders als in Deutschland lassen sich in Rußland Verbindungslinien zwischen den Ausbrüchen aus den Konventionen und dem verordneten Realismus nachzeichnen. So läßt sich von Vera Muchinas Skulptur „Arbeiter und Kolchosbäuerin“, die für den russischen Pavillon der Weltausstellung 1937 in Paris entworfen und später als Emblem von Mosfilm weltbekannt wurde, ein Bogen zurück zu ihrer expressiv und kubistisch bewegten Figur „Die Flamme der Revolution“ (1922) schlagen. Ebensowenig gehen Bilder von Alexander Deineka, mit Aufträgen ausgestatteter Protagonist des Sozialistischen Realismus, in einem einfachen propagandistischen Konzept auf. Sein „Abgeschossenes Flieger-As“ (1943), der in geborstene Eisenbahnschienen stürzt, ist weit entfernt von Heroisierung. Als Anpassung erscheint eher die Wandlung von Konstantin Juon, der 1921 im Bild „Der neue Planet“ in kosmischer Metaphorik glühende Sonnen auf die Erde zurasen ließ und 1949 im historisierenden Stil des 19. Jahrhunderts eine Parade auf dem Roten Platz malte.

So liegen für die hiesigen Besucher der Ausstellung die Entdeckungen vor allem im Bereich der russischen Kunst. Anders wird sie der russische Betrachter nächstes Jahr in Moskau erleben, nicht nur weil dort ein Teil der monumentalen Kulissen der Macht Wirklichkeit geblieben ist. Dort, wo sich die scharfe Grenzziehung zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion als politisches Konstrukt erweist, bricht die Ausstellung Tabus der Kunstgeschichtsschreibung des Sozialistischen Realismus. Deutlich wird die Ideologisierung der ästhetischen Differenzen, mit der die Geschichte des Kalten Krieges in der Kunst beginnt.

Die Ausstellung endet mit der Befreiung Berlins durch die Rote Armee. Das Kapitel der „Beutekunst“ ist explizit nicht mehr Thema, auch wenn viele der Nazi- Schinken aus dem U.S. Army Center of Military History in Washington erstmals nach Deutschland ausgeliehen wurden. Für die Zusammenarbeit zwischen der Berlinischen Galerie und dem auf russischer Seite federführenden Puschkin-Museum standen inhaltliche Fragen im Vordergrund – nicht die nach Besitz. Dennoch rechtfertigt Irina Antonowa, als Direktorin des Puschkin-Museums für die Einbehaltung des lange verheimlichten Priamos-Schatzes verantwortlich, ihre Haltung in einem Katalogbeitrag: Sie betrachtet die Kunstschätze als Kompensation für die Kriegszerstörungen in Rußland. Katrin Bettina Müller

„Berlin – Moskau 1900 – 1950“. Bis 7. Januar 1996 im Martin-Gropius-Bau, Berlin. Der Katalog, 700 Seiten, in der Ausstellung 49 DM, im Buchhandel 98 DM.