"Wir sind vollkommen hilflos"

■ Mit kleinen karitativen Schritten reagiert die lutherische Kirche Südafrikas auf die Immigranten aus dem Norden. Kordula Doerfler sprach mit Reverend White Rakuba

taz: In Südafrika gibt es schätzungsweise vier Millionen Immigranten und Flüchtlinge. Was tun die Kirchen, um diesen Menschen zu helfen?

White Rakuba:Leider war es in der Geschichte dieses Landes so, daß wir nie richtige Mechanismen entwickelt haben, wie man mit Flüchtlingen umgeht. Das liegt an der jahrzehntelangen Isolation des Landes, die erst im vergangenen Jahr nach den ersten freien Wahlen beendet worden ist. Südafrika war kein Mitglied der Genfer Konvention von 1951. So war es für die Menschen immer sehr schwierig, als Flüchtlinge nach Südafrika zu kommen. Die erste große Gruppe, die überhaupt nach dem 2. Weltkrieg hierherkam, waren Mosambikaner während des Bürgerkriegs dort. Aber sie wurden hier nicht als Flüchtlinge anerkannt, sondern wurden als illegale Immigranten bezeichnet. Nur mit Hilfe der früheren Homelands war es möglich, daß einige von ihnen einen rechtlichen Status erhielten, um hier bleiben zu können. Sobald sie die Grenzen der Homelands übertraten, wurden sie von der südafrikanischen Polizei verhaftet und abgeschoben.

Aber die meisten von ihnen blieben doch nicht auf dem Land, sondern versuchten, in die großen Städte zu kommen.

Ja, das ist genau das Problem. Viele von ihnen waren angezogen vom Glanz der Städte, vor allem von Johannesburg, und kamen dann illegal hierher. In ganz Afrika hatte es sich herumgesprochen, daß der Südafrikanische Kirchenrat die Apartheid bekämpft, und so kamen viele dann hierher in unsere Zentrale. Aber wir wußten, daß die südafrikanische Regierung sie sofort verhaften lassen würde, wenn sie ohne gültige Papiere erwischt wurden. Zu jener Zeit gaben wir ihnen dann etwas Hilfe, um wenigstens zu überleben, und rieten ihnen, in ein Land zu gehen, in dem der UNHCR auch vertreten war – das nächste war damals Lesotho. Dort konnten sie offiziell als Flüchtlinge anerkannt werden. Erst seitdem UNHCR hier ist und ein Abkommen mit der Regierung ausgehandelt hat, werden sie hier als Flüchtlinge anerkannt.

Was hat sich seit den Wahlen verändert? Nun hat Südafrika erstmals eine demokratische Regierung, die aber die sogenannten Illegalen auch massenhaft abschieben läßt.

Ja, das ist richtig. Seit den Wahlen müssen wir feststellen, daß die Menschen zu Zehntausenden nach Südafrika strömen. Darauf war niemand so richtig vorbereitet, auch die Kirchen nicht. Wir hatten die erste große Gruppe von Flüchtlingen im Juni vergangenen Jahres – aus Ruanda. Jetzt sitzt der UNHCR auch in Südafrika, und es wurde mit der Regierung eine Vereinbarung erzielt, daß Flüchtlinge aus Kriegsgebieten Asyl beantragen können. Aber auf die meisten trifft das nicht zu, denn sie kommen aus sozialen und ökonomischen Gründen. Früher haben wir als Kirchen versucht, sie wenigstens vorübergehend unterzubringen, aber das können wir jetzt nicht mehr.

Und was machen Sie jetzt?

Nun, ich will ein Beispiel erzählen. Eines Montags letztes Jahr im September standen Hunderte von Menschen hier vor der Tür, aus verschiedenen afrikanischen Ländern. Wir riefen beim Innenministerium und beim UNHCR an. Der UNHCR schickte Helfer mit Lebensmitteln und Decken, das Innenministerium schickte die Polizei, um die Leute zu verhaften. Das war aber nicht das, was wir wollten, und es gelang uns dann, die meisten von ihnen erst einmal in einem Vorort von Johannesburg unterzubringen. Seither kommen fast jeden Tag mindestens 20 Menschen zu uns und suchen Hilfe.

Was sagen Sie den Leuten, wenn sie bei Ihnen vor der Tür stehen?

Das ist oft wirklich schwer. Die meisten müssen wir wegschicken, weil sie eben keine Flüchtlinge sind, sondern aus anderen Gründen hierherkommen. Die, die Flüchtlinge sind, versorgen wir im Moment mit Essen. Außerdem bekommen sie Decken, damit sie nachts nicht frieren müssen. Und wir geben ihnen Kleidung, die von unseren Kirchen gesammelt wurden. Und die, die krank sind, bekommen Medikamente von uns.

Insgesamt entsteht der Eindruck, daß Sie ziemlich hilflos sind.

Ja, wir sind vollkommen hilflos. Wir würden wirklich gerne allen helfen, aber es geht einfach nicht. Am Anfang dachten wir, das sei eine vorübergehende Erscheinung. Aber das war ein großer Irrtum. Es kommen immer mehr, von immer weiter her.

Aus welchen Ländern kommen sie?

Im Moment kommen die meisten aus Angola und Zaire, viele aus Somalia und Äthiopien, manche sogar aus Liberia – also aus allen schwarzafrikanischen Ländern.

Aber nicht in all diesen Ländern herrscht Krieg, auch wenn sie riesige Probleme haben.

Ja, das stimmt natürlich. Aber sehen Sie, das ist eine schwierige Unterscheidung, die zwischen Flüchtlingen und anderen Immigranten. Wir dürfen offiziell nur Flüchtlingen helfen, die anerkannt sind. Wenn sie die entsprechenden Papiere nicht haben, dann schicken wir sie zum Innenministerium. Leuten, die aus Simbabwe oder Malawi nach Südafrika kommen, können wir nicht helfen. Auch Mosambikaner, die die weitaus größte Gruppe sind, sind heute keine anerkannten Flüchtlinge mehr. Sie kommen, um hier Arbeit zu suchen und Geld zu verdienen. Und das ist für Südafrika mittlerweile ein riesiges Problem, denn die Arbeitslosigkeit liegt hier auch immer noch bei 40 Prozent. Was uns wirklich sehr besorgt macht, ist die steigende Fremdenfeindlichkeit in Südafrika. Auf der anderen Seite muß man auch die Menschen verstehen. Es gibt so viele Menschen hier, die keinen Job und kein Zuhause haben, die nachts auf der Straße schlafen. Wie soll man ihnen erklären, daß Immigranten aus Nachbarländern geholfen wird, ihnen aber nicht?

Gemessen an anderen afrikanischen Ländern, ist Südafrika aber immens reich. Es ist nicht verwunderlich, daß es die Menschen hierherzieht.

Ja, das ist richtig. Aber es ist an der Regierung, dieses Problem zu lösen. Wir als Kirchen können nicht allen helfen. Das ist wirklich ein Dilemma für uns: Als Kirchen fühlen wir uns dem Prinzip verpflichtet, jedem zu helfen, der Hilfe braucht – und können es nicht. Und es muß eine politische Lösung gefunden werden.

Ist die massenhafte Abschiebung eine Lösung?

Nein. Die massenhafte Abschiebung von Mosambikanern zum Beispiel halte ich für nicht erfolgreich, denn die meisten versuchen es zwei oder drei Tage später wieder, über die grüne Grenze zu kommen. So schnell kann der Staat gar nicht abschieben. Außerdem haben wir in diesem Land wirklich eine traurige Geschichte hinter uns, was Verhaftungen angeht.

Aber wie soll eine politische Lösung aussehen?

Das ist sehr sehr schwierig. Man muß dafür sorgen, daß sich die Lebensbedingungen in den jeweiligen Ländern verbessern, so daß es für die Menschen weniger Gründe gibt wegzugehen.

Damit argumentieren Politiker in den reichen westeuropäischen Ländern auch. Aber gerade in Schwarzafrika sind die Aussichten nicht sehr günstig, daß sich das ändert – auf jeden Fall nicht in absehbarer Zeit.

Ja, allein unsere unmittelbaren Nachbarländer stecken alle tief in Problemen und ökonomischen Krisen, selbst wenn dort nirgends gerade Krieg herrscht. Also, ich weiß auch nicht, wie eine Lösung aussehen soll. Und was Europa angeht, da gibt es ein weiteres Problem für Afrika. Die meisten Länder haben ihre Asyl- und Ausländergesetze so verschärft, daß es fast unmöglich ist, dorthin zu kommen. Und wohin gehen die Menschen jetzt? Nicht mehr nach Norden, sondern nach Süden.