Im Sonderzug nach Nirgendwo

Die Stadt des Goldes übt magische Anziehung aus. Nach Südafrika kommen Einwanderer aus Simbabwe, Mosambik oder Zaire, doch die staatliche Abschiebepraxis ist unerbittlich  ■ Von Kordula Doerfler

Jeden Mittwoch abend verläßt ein Zug nach Nirgendwo den Hauptbahnhof von Johannesburg. An der Anschlagtafel in der Haupthalle steht unauffällig „Spesial/Special“, Gleis 14. Darunter sind die wenigen Züge angeschlagen, die täglich die größte Stadt Südafrikas verlassen. Zugfahren ist eine ungebräuchliche Fortbewegungsmethode in Südafrika, das Schienennetz ist nicht sehr gut ausgebaut. Die riesige Halle ist meist menschenleer, und an den Gleisen stehen nur wenige Reisende, vorwiegend Schwarze.

Ausnahme: Gleis 14. Dort herrscht reger Betrieb. Gepanzerte Lastwagen fahren über lange Rampen auf den Bahnsteig. Polizeilastwagen. Aus jedem werden 30 junge Burschen und Männer gejagt. Vor dem wartenden Zug müssen sie in Zweierreihen niederknien, die Arme über dem Kopf verschränkt. Dann werden sie in den Zug gescheucht, eng zusammengepfercht, in jedem Waggon 100 Menschen. Die meisten starren teilnahmslos vor sich hin, manchen steht die Angst ins Gesicht geschrieben.

Jeden Mittwoch abend verläßt ein Sonderzug den Hauptbahnhof Johannesburg, mit Zielrichtung Mosambik. 800 bis 1.000 illegal eingereiste Mosambikaner schiebt die Ausländerpolizei von Johannesburg jede Woche Richtung Heimat ab. Jeder Waggon wird von vier Polizisten bewacht. Der Zug kommt aus Germiston, einem Vorort von Johannesburg, und fährt dann weiter Richtung Nordosten. Zweimal hält er noch, ehe er die Grenze passiert, einmal in der Hauptstadt Pretoria, einmal in Middelburg etwa auf halber Strecke. Nach 600 Kilometern Fahrt passiert er die Grenze, bei Komatipoort. Im ersten größeren Ort hinter der Grenze, Moambo, ist derzeit Endstation. Die „Illegalen“ müssen den Zug verlassen, der schnurstracks zurückfährt.

Abschiebungsalltag in Johannesburg, der Wirtschaftsmetropole Südafrikas. Circa vier Millionen Menschen leben derzeit in „Egoli“, der „Stadt des Goldes“, wie Johannesburg auf Zulu heißt. In Soweto, der größten Township Südafrikas im Südwesten der Stadt, sind es ungefähr noch einmal zwei Millionen. An ihrem nördlichen Rand wächst die Stadt unaufhaltsam mit der 50 Kilometer entfernten Hauptstadt Pretoria zusammen. Johannesburg war wegen seines Industriegürtels schon immer der Melting pot Südafrikas. In den schwarzen Townships rund um die Stadt leben Schwarze aus allen Teilen des Landes. Neben den Engländern und den Buren, den ehemaligen Kolonialherren, gibt es neun schwarze Völker in Südafrika. Heute, im „neuen Südafrika“, sind die Sprachen aller elf Völker offizielle Landessprachen, und in Johannesburg hört man jede von ihnen – allerdings wird Englisch, so zeichnet es sich ab, in ganz Südafrika die Hauptverkehrssprache werden. Insgesamt, so lauten die Schätzungen, leben im Ballungsraum Johannesburg etwa zehn Millionen Menschen – Tendenz rasant steigend. Nach einer neueren Statistik ist Johannesburg die am viertschnellsten wachsende Großstadt der Welt, die einen geradezu magischen Sog auf die armen Nachbarn im südlichen Afrika ausübt.

„Was sollen wir denn machen? Nach 16 Jahren Bürgerkrieg gibt es in Mosambik keine Arbeit“, sagt David M. Der 25jährige ist legal nach Südafrika eingereist und arbeitete in einer Fabrik als Dreher. Jetzt sind ihm seine Papiere gestohlen worden, und er konnte sich bei einer Routinekontrolle der Polizei nicht ausweisen. David wird ein Fall für die neugegründete Ausländereinheit der Polizei in Johannesburg, und die fackelt nicht lange. „Wir sperren die Leute erst gar nicht mehr ein“, sagt Willem Lottering, Chef der Ausländerpolizei. „Sie kommen auf die nächste Polizeistation und dann in den Zug.“ Allein 15.000 Mosambikaner habe man auf diesem Wege seit November vergangenen Jahres außer Landes geschafft. Doch Lottering und seine sieben Mitarbeiter, die in einem schäbigen Büro in der Innenstadt sitzen, sind machtlos, wie er selbst eingesteht.

„Ich komme wieder“, versichert auch David M., „mit einem neuen Paß.“ Er will zurück zu seiner Freundin nach Soweto, die ihrerseits aus dem Nachbarland Botswana stammt. „Er wird es schaffen“, glaubt auch Constable Richard Lotter, der jeden Dienstag die Abschiebung der Mosambikaner koordiniert. „Wir haben nichts gegen Ausländer, die legal hier arbeiten.“ Tatsächlich ist die südafrikanische Polizei weniger ausländerfeindlich als die deutsche; Übergriffe gegen Ausländer sind bislang zumindest nicht bekannt. Und burische Polizisten sind im „neuen Südafrika“ ohnehin krampfhaft darum bemüht, von ihrem Image als Rassisten wegzukommen.

llegale Immigranten aus dem vom Bürgerkrieg zerstörten Nachbarland sind die größte Gruppe derer, die täglich in das reiche „Land des Goldes“ kommen, gefolgt von Menschen aus Simbabwe, Malawi, Sambia und Zaire, Nigeria und Liberia. Seitdem der Bürgerkrieg in Mosambik offiziell beendet ist, gelten sie nun nicht mehr als Flüchtlinge und werden abgeschoben. Allein 30.000 von ihnen wohnen in der Township Alexandra, die mitten in den reichen Villengegenden des Johannesburger Nordens liegt. In „Alex“, das jahrelang von blutigen Konflikten zwischen ANC- und Inkatha-Anhängern geschüttelt wurde, stehen sie am untersten Ende der sozialen Hierarchie.

Die zweitgrößte Gruppe sind Simbabwer, die ebenfalls systematisch abgeschoben werden, allerdings in geringerem Ausmaß als die Mosambikaner. Etwa 200 werden jeden Montag in den regulären Zug nach Harare verfrachtet. Auf etwa vier Millionen schätzt das südafrikanische Innenministerium die Zahl der illegal Eingereisten derzeit. Ein hoher Polizeigeneral in Pretoria sprach kürzlich sogar von neun Millionen, aber diese Zahl wird selbst vom Innenministerium angezweifelt.

Wie überall auf der Welt lassen sich mit solchen Zahlen trefflich Emotionen schüren. Ein Großteil der begangenen Straftaten im vergangenen Jahr gehe auf Kosten von Ausländern, behauptete der General, blieb jedoch den Nachweis schuldig. Die Zahlen seien absolut unseriös, konterte das angesehene „Institut für Demokratie in Südafrika“ (Idasa). „Wir beobachten mit Sorge die Tendenz, mit solchen Zahlen Politik zu machen“, sagt dessen Chef, Professor Wilbur James. Auch der südafrikanische Vertreter des UNHCR, Nicolas Bwakira, beklagte kürzlich die zunehmende Ausländerfeindlichkeit in dem traditionellen Einwanderungsland Südafrika.

Dennoch steigt die Zahl der illegalen Immigranten steil an. Die meisten zieht es in die Region rund um Johannesburg, in die Gold-, Diamanten- und Erzminen, die den Reichtum Südafrikas ausmachen. Sie arbeiten als Gärtner und Köche in den Villen der weißen Vororte, als billige Bauarbeiter und Handwerker. Viele lassen sich von einer einmal erfolgten Abschiebung nicht abschrecken und kommen wieder – über die grüne Grenze im Norden. Dort ließ die alte südafrikanische Regierung in den 80er Jahren einen elektrischen Zaun errichten – damals noch mit dem Ziel, im Exil lebende ANC- Guerillakämpfer vom Land fernzuhalten. Die neue Regierung Mandela ließ den Zaun nicht etwa abreißen, sondern verlängerte ihn noch. Derzeit ist er nur im „Alarmzustand“, wie der stellvertretende Verteidigungsminister Ronnie Kasrils beteuert. Aber der Knopf könne per Parlamentsbeschluß jederzeit wieder auf tödliche Spannung gedreht werden.

„Nicht einmal der Strom könnte mich abhalten, es noch einmal zu versuchen“, sagt der 15jährige Silvio da Vida. Er kam zu Fuß aus Mosambik über die grüne Grenze und beschaffte sich dann einen südafrikanischen Paß. Das ist vergleichsweise einfach und billig: Ungefähr 500 Rand (200 Mark) kostet ein gefälschter Paß auf dem Schwarzmarkt. Mehrere Beamte der Einwanderungsbehörden wurden in jüngster Zeit verhaftet, weil sie gegen Bestechung Pässe fälschten. Jetzt sitzt Silvio im Zug nach Mosambik und hat sichtlich Angst vor der Polizei. Gejobbt habe er in Johannesburg, murmelt er, mal hier, mal da, in Hillbrow vor allem.

Hillbrow, am Rande der Innenstadt von Johannesburg. Der ehemals weiße Stadtteil war schon immer erster Anlaufpunkt für Immigranten aus aller Welt: In den dreißiger und vierziger Jahren vor allem für deutsche Juden, heute für Schwarzafrikaner aller Nationen. Seitdem die Apartheid-Regierung die Gesetze gelockert hatte, und es Schwarzen erlaubt war, im Stadtgebiet von Johannesburg zu wohnen, platzt der Bezirk aus allen Nähten. In den vergangenen Jahren hat Hillbrow sich radikal verändert. Die weiße Bevölkerung fühlt sich zunehmend unsicher und zieht in weiter außerhalb gelegene Gebiete. In den häßlichen Hochhäusern aus den 50er und 60er Jahren drängen sich heute oft zehn Personen und mehr in einer Wohnung. Nachts verwandelt sich Hillbrow in den Rotlichtbezirk Johannesburgs, das Geschäft mit Prostitution und Drogen blüht.

„Hier kann man sich doch tagsüber schon fast nicht mehr auf die Straße trauen“, sagt Rosie, deutschstämmige Kellnerin im Café Kranzler in der Kotze Street, einer der Hauptstraßen von Hillbrow. Das Cafe, in den 70er Jahren von einem ausgewanderten Schwaben gegründet, war eine Institution unter deutschen Immigranten. Zu kaufen gibt es dort alles, was des Deutschen Herz begehrt: Schwarzbrot, Brezeln, Schwarzwälder Kirschtorte und Milka-Schokolade. Heute kämpft das Café, an dessen Wänden alte Stiche von deutschen Städten hängen, um die Existenz. Deutsche gibt es nur noch wenige in Hillbrow, nur das Konsulat hat hier noch seinen angestammten Sitz.

Unter den verbliebenen Weißen kursiert ein böser Witz. Was ist die Hauptstadt von Zaire? Kinshasa. Nein, Hillbrow. Wie viele tausend Zairer es in Hillbrow wirklich gibt, weiß niemand. Die meisten von ihnen leben in „Ponte City“, einem riesigen rundgebauten Hochhaus aus den 60er Jahren, das fast von jedem Punkt in Johannesburg zu sehen ist. Dort hat sich eine eigene zairische Infrastruktur entwickelt, Läden, eine Kirche, eine Diskothek.

Downtown auf dem Flohmarkt am Market Theatre. Auf einem Parkplatz bei den früheren Markthallen wird Kunsthandwerk aus ganz Afrika verkauft: Masken aus Zaire und Kenia, rituelle Gegenstände aus Zentralafrika, Stoffe aus Kamerun, Ghana und Senegal, Schmuck und Ikonen aus Äthiopien. Wie die Waren ins Land kommen, bleibt das Geheimnis der Händler. Die Touristen aus aller Welt und die weiße und schwarze Johannesburger Oberschicht, die hier nach Schnäppchen jagen, kümmert es wenig.