„Dann fühlen sich die Jungs so unglücklich“

■ Regisseur Tom Verheul über seinen Film „Tabee Toean“ und die niederländische Kunst, zu verdrängen, was nicht ins Bild der christlichen, weltoffenen, liberalen Nation paßt

taz: Ihr Film heißt „Tabee Toean“. Was bedeutet das?

Tom Verheul: Das ist der indonesische Gruß der Unterwürfigen an die Herren, so etwas wie „guten Tag, mein Herr“. Übertags sagten sie „Tabee Toean“, und abends war derselbe Mann bereit, dich niederzuschießen. Es gibt die Paranoia der niederländischen Soldaten wieder; sie sahen keinen Feind, aber das ganze Land war auf die Dauer ein Feind.

In Ihrem Film sprechen Veteranen von Kriegsverbrechen, sinnlosen Morden, Grausamkeiten gegen die Zivilbevölkerung Indonesiens besonders in den Jahren 1947–49. Warum fängt in einem so liberalen und offenen Land wie den Niederlanden erst jetzt die Diskussion über diese Zeit an?

Es ist genau das: Wir finden uns unwahrscheinlich offen und liberal, und ein anderes Bild als das der christlichen, ausgewogenen Nation konnten wir auch nicht zulassen. Wenn einfach mal jemand den zurückgekehrten Soldaten richtig zugehört hätte... Aber die Niederlande waren nach der Dekolonisation nach innen gerichtet, man leckte die Wunden der deutschen Besatzung, man wollte einen schnellen Wiederaufbau, man hatte kein Interesse an den Jungs.

Aber selbst heute wird abgewiegelt. Prinz Willem-Alexander, der mit seiner Mutter Beatrix und seinem Vater Claus nach Indonesien zum Staatsbesuch gereist ist, sagt, er finde die Diskussion um die Veteranen und den Freiheitskampf der Indonesier überzogen.

Ja. Er meint die emotionale Diskussion.

Ist das die Einstellung der Mehrheit in Ihrem Land?

Nein, ich glaube, die Mehrheit, selbst unter den Veteranen, ärgert sich über die immer gleiche Reaktion einer Minderheit in den Veteranenorganisationen. Aber die sitzen an der Spitze und bestimmen die Position der Veteranen mit den immer gleichen Standardaussagen:

a) Wo gehobelt wird, fallen Späne. Natürlich sind Exzesse passiert, aber das war die Ausnahme. Das passiert in jedem Krieg, guck dir doch Vietnam an. Schwamm drüber.

b) Sie wollen verhindern, daß jemand die moralische Untermauerung des Krieges angreift. Außenminister Hans Van Mierlo hat ihn einen „historischen Irrtum“ genannt. In dem Moment sagen die Veteranen: „Das würde ja bedeuten, daß 6.000 Kameraden umsonst gestorben sind, daß unser Krieg umsonst war.“

c) Sie sagen, daß sie das Land vor dem Zusammenbrechen bewahrt und für den Wiederaufbau gesorgt haben.

Nur wenige Tage nach dem 50. Jahrestag der indonesischen Unabhängigkeit am 17. August ist Königin Beatrix nach Indonesien gereist. Die Schlagzeile einer der größten holländischen Tageszeitungen, des bürgerlich-liberalen „Telegraaf“, lautete nach ihrer Ankunft: „Aufträge aus Indonesien für eine Milliarde Gulden“. Kennzeichnet die Schlagzeile das heutige Verhältnis beider Staaten?

Ich finde das sehr zynisch, nicht am Unabhängigkeitstag zu erscheinen, sondern drei Tage später, aber gleichzeitig sechzig „captains of industry“ mitzubringen. Es ist die Selbstverständlichkeit der holländischen Kaufleute, die größer ist als die Selbstverständlichkeit, moralische Verantwortung zu übernehmen.

In meinem Film erzählt einer der Männer, wie seine Kameraden bei einer Vergeltungsaktion ein Dorf in Brand gesetzt haben. Zuvor hatte er mit aufgesetztem Bajonett das Dorf durchkämmt. Er öffnet die Tür eines Hauses, und vor ihm sitzt ein alter Mann, der vor Angst zittert und sich in seinen Sarong, seinen Umhang, pißt. Und dort drang es in sein Hirn: Was machen wir, um Gottes willen? Wir sind ja wie die Waffen-SS.

Gibt es eine Verbindung zwischen deutscher Besatzung und Indonesienkrieg?

Ich denke, daß viele niederländische Jungs gezwungen waren, den Zweiten Weltkrieg passiv zu erleben. Sie hörten über Radio Oranje von den Siegen der Alliierten. Und sie hatten auch Lust dazu. Sie waren achtzehn, sie wollten etwas. Man will doch seine Männlichkeit beweisen. Und als sie hörten, daß die Japaner noch in Indonesien saßen, wollten sie sie davonjagen. Das ist die eine Seite.

Die andere Seite ist: Gerrit Kersten [einer der Veteranen im Film; d. Red.] hat die Schlacht um die Brücke von Arnheim miterlebt. Aus hundert Metern Abstand in einem Haus. Der weiß, was Krieg ist. Bob [ein weiterer Veteran; Anm. d. Verf.] hat in Amsterdam Bombardierungen miterlebt, als Junge war er mit seinem Vater unterwegs. Das Fahrrad seines Vaters wurde beschlagnahmt. Und als der protestierte, wurde er von den Deutschen verprügelt, bekam Tritte in den Bauch. Gleichzeitig bewunderte er die Soldaten, sie waren sein Vorbild an Männlichkeit. Wenn du einen grünen Anzug anhast und eine Waffe trägst, dann bist du stark, und die Mädchen wollen dich. Er war eigentlich noch zu jung, um nach Indonesien zu gehen. Er meldete sich als Freiwilliger. Er wollte so schnell wie möglich bei diesem Krieg, bei dem großen Krieg mitmachen.

Leute wie Kersten, wollten sie Rache nehmen an den Deutschen und taten das in Indonesien?

Bei Gerrit Kersten ist das jedenfalls nachweisbar. Er wurde von den Deutschen verhört, er wurde als kleines Kind mißhandelt, er verlor Bruder und Vater im Krieg. Und das spielte eine Rolle. Ein indonesischer Veteran sagte mir einmal: „Wir haben uns über die Holländer an den Japanern gerächt.“ Und ein Niederländer sagte: „Wir haben uns über die Indonesier an den Deutschen gerächt.“

Ein junger Mann aus dem Publikum, der Ihren Film gesehen hatte, zog in einer anschließenden Diskussion den Vergleich mit dem so oft beschriebenen Vietnam- Trauma der US-Amerikaner. Kann man das vergleichen?

Ja, in der Tat. Auch die Amerikaner wurden dahin geschickt mit der Vorstellung: Wir kämpfen für Amerika. Und die amerikanischen, westlichen Werte sind gefährdet durch den anrückenden Kommunismus. Und als klar wurde, daß es ein sinnloser Krieg war, wurde er nicht gestoppt, damit die Politiker ihr Gesicht nicht verloren. Und so war das in den Niederlanden auch. Ein politisch falscher, sinnloser Krieg, und das erzählst du nachher niemandem, denn dann fühlen sich die Jungs so unglücklich. Interview: Nathalie Hillmanns