Nachfolger des Eisernen Pferdes

■ Seit mehr als 13 Jahren hat Cal Ripken Jr. von den Baltimore Orioles kein Baseballspiel mehr verpaßt, und eine Stadt steht kopf

Berlin (taz) – Wenn die Orioles aus Baltimore das Baseballfeld betreten, dann ist die Wahrscheinlichkeit, daß sie verlieren, ziemlich groß. Dennoch ist die Begeisterung in der Stadt im Bundesstaat Maryland derzeit riesig und erscheint, da das Interesse am Baseball wegen des letztjährigen Arbeitskampfes bedenklich zurückgegangen ist, fast anachronistisch. So etwas kann nur passieren in einer Sportart, in der die individuellen Leistungen von Spielern höher angesiedelt werden als der Erfolg eines Teams und Meisterschaften weit weniger zählen als Rekorde in den mit unmenschlicher Akribie geführten Statistiken.

Der Shortstop der Baltimore Orioles heißt Cal Ripken Jr., ist 35 Jahre alt und wird heute einen Rekord brechen, der für alle Zeiten festgeschrieben schien. Bloß noch am Rande interessiert, wie ein Spiel der Orioles ausgegangen ist. Die Zeile „The streak continued“ – die Serie hält an – ist die entscheidende Information. Die „Serie“ begann am 30. Mai 1982. Seitdem hat Ripken kein einziges Spiel verpaßt. Er war nicht krank genug, nicht verletzt genug und nicht schlecht genug, um nicht aufgestellt zu werden. Er hat kein Flugzeug verpaßt, nicht verschlafen und sich mit keinem Trainer überworfen. Heute wird Ripken zu seinem zweitausendeinhundertundeinunddreißigsten Spiel in Folge antreten und damit Lou Gehrig überholen, den sie „Iron Horse“ nannten, der in den 20er und 30er Jahren für die New York Yankees spielte und dessen Leben zum Filmstoff mit Gary Cooper in der Hauptrolle wurde. Zur Feier des Tages haben sich im Camden Park von Baltimore Berühmtheiten wie Bill Clinton, Michael Jordan und Cindy Crawford angesagt.

Seit Ripken seine Serie begann, haben in den beiden amerikanischen Major Leagues fast 4.000 Spieler verletzt ausgesetzt. Ripken aber war nicht nur bei jedem Spiel von Anfang an dabei, sondern hat auch 99,2 Prozent der möglichen Zeit gespielt; mehr als fünf Jahre, vom 5. Juni 1982 bis zum 14. September 1987, hat Ripken sogar keine einzige Sekunde der möglichen Spielzeit mit den Orioles ausgelassen, er schied nicht wegen Verletzung aus und wurde nicht ausgewechselt.

Doch nicht nur wegen der Serie ist Ripken einer der beliebtesten Spieler in den Staaten. Er gehört zur alten Garde derer, die sich viel Zeit für die jugendlichen Fans nehmen. Bill Stetka, beschäftigt in der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit der Orioles, vermutet: „Die Serie wird eines Tages zu Ende gehen. Und wenn, dann wegen einer Verletzung im Handgelenk vom vielen Autogrammeschreiben.“ Aber nicht einmal dieses Risiko besteht, glaubt Teamkollege Brady Anderson: „Er hat keine Bänder in seinen Gelenken. Die sind weg. Das ist hilfreich.“ Mike Flanagan, einer der Coaches der Orioles, sagt über ihn: „Er wird nie schlapp. Ich denke nicht, daß noch irgendwelches Blut in ihm ist.“

Aber Ripken ist nicht nur ausdauernd, sondern auch gut. Einen Rekord hält er schon: Er ist der einzige Spieler, der zwölf Jahren hintereinander ins All-Star-Team gewählt wurde. Er kann überdurchschnittlich schlagen, rennen, werfen, und vor allem beweist er immer wieder, daß Baseball ein Spiel ist, das weniger durch Athletik und Talent, sondern im Kopf entschieden wird. Ripken muß sich nur selten verrenken, um Bälle zu erreichen. Vor allem in der Defensive kommt ihm sein fast schon enzyklopädisches Wissen zugute: Er weiß genau, wohin welcher Batter bei welchem Wurf eines bestimmten Pitchers normalerweise den Ball schlägt. Manchmal ist Ripken schon unterwegs, bevor der Batter überhaupt mit dem Schläger ausgeholt hat, und steht dann doch richtig. Und je älter er wird, je mehr Wissen sich ansammelt, desto besser wird er.

Und was sagt Ripken selbst, wenn er nicht gerade spielt oder Autogramme schreibt? Zwar weiß er sehr wohl, daß er sich mit seinem Rekord die Unsterblichkeit im statistiksüchtigen Amerika sichern wird, aber die Aufregung darum versteht er nicht so recht: „Ich muß ja nicht mehr tun, als einfach aufzulaufen.“ Thomas Winkler