Der Ungläubige läßt die Hose runter

Ob Nationalstürmer Stefan Kuntz heute in der EM-Qualifikation gegen Georgien spielt, ist unklar. Bei Besiktas Istanbul ist „der Alte“ jenseits aller aufgeregten Diskussionen  ■ Aus Herzogenaurach Peter Unfried

Den Schweiß auf der Stirn und sonst nichts mehr am Körper trat also unser Mann in den Duschraum auf dem Trainingsgelände von Besiktas Istanbul. Und? Guckte erst einmal ungläubig. „80 Prozent der Spieler“, mußte Stefan Kuntz nämlich nach schnellem Überschlagen konstatieren, „duschten mit Turnhosen an.“ Sappradi! Was tun? Kuntz (32) hat schleunigst kehrt- und sich schlau gemacht. Und erfahren, daß es unüblich ist für jüngere türkische Kicker, sich vor Älteren zu entblößen, daß aber keiner etwas dabei findet, wenn Westeuropäer beim Reinigungsvorgang den letzten Fetzen auch noch ablegen.

Was möglicherweise zeigt: Da hat sich einer auf den Weg gemacht, der mehr wissen will, als wieviel am Monatsende aufs Konto überwiesen wird. Ein paar Wochen ist Kuntz erst in Istanbul, ein paar Wochen im Hotel, jetzt ist ein Haus gefunden, sind Frau und Kinder angereist. Während er im Hotel Herzogspark zu Herzogenaurach sitzt, wird just der Umzug organisiert.

Es ist schon bemerkenswert: Wo dereinst drei Viertel der DFB- Kicker fern der Heimat arbeiteten, gibt es nun gerade einen – und der spielt, seltsame Fußballwelt, in Istanbul. „Okay“, sagt hierzu der Bundestrainer, das sei halt so, doch nur „im Moment“. Beim DFB hält man es mit der etwas simplen Deutung, es zeige dies nur eins: die Stärke der Bundesliga. Und Berti Vogts? Freut sich, daß er nimmer soviel rumgondeln muß. Ob er Stefan Kuntz heute im Nürnberger Frankenstadion (19.30, live im ZDF) neben Jürgen Klinsmann stürmen läßt, hat er nicht gesagt. Er überlegt noch. Keiner weiß so recht, warum er seit Jahren den Protagonisten des Kaiserslauterer Wunders vom Jahrgang '91 einlädt, um ihn dann stets auf der Bank zu lassen. Wahrscheinlich geht es ihm wie den meisten: Irgendwie mag er Kuntz.

Aber: Georgien ist bekanntlich stark, ein Sieg für die EM-Qualifikation womöglich unerläßlich, also, grübelt Vogts, läßt er vielleicht besser nur den Kapitän stürmen. Macht er nicht, sagt Kuntz. Warum, fragt der, hätte er sonst fünf Stürmer eingeladen? Auch hat Stefan Kuntz zuletzt beim Champions League-Qualifikationsmatch gegen Trondheim zwei Tore geschossen. Genutzt hat's nix, 3:1 konnte nicht an gegen das 0:3 aus dem Hinspiel, Besiktas hat die Champions League verpaßt, und seit dieser Katastrophe ist ein bißchen schlechte Stimmung im Klub.

Die Presse hat keinen Spaß verstanden, und da hat Kuntz zum ersten Mal richtig gemerkt, was er an seiner „Rheinpfalz“ hatte. Gemerkt hat er, daß Sachen entweder verdreht würden oder „einfach gleich erfunden“. Kennt man von anderswo auch. Immerhin hat er nach der ersten Aufregung erlebt, daß „sich die Zuschauer nicht von den Presseberichten leiten lassen“.

Nun gut, der Saisonstart in der türkischen Liga war durchwachsen, aber nicht besorgniserregend. Die vereinsinterne Opposition, die angeblich rebelliert, sagt Kuntz, „gibt es nicht“. Nicht gegen ausländische Spieler „und auch nicht gegen Christoph Daum“. Der Trainer mit Grundbesitz in Köln darf bleiben. Er soll, bitte. „Als das Thema 1. FC Köln ausgebreitet wurde“, sagt Kuntz, „denkt man schon drüber nach. Er hat mich schließlich geholt.“ Nun sollte man daraus nicht schließen, daß die Situation die beiden zusammen mit Torhüter Raimond Aumann zu einem Männerbund der Heimatfernen eine. „Der Christoph“, sagt Kuntz, „muß aufpassen, daß genau dieser Tenor nicht aufkommt.“ Der Christoph ist ja bekanntlich auch ein raffinierter Kerl, der „macht das genau richtig“.

Derzeit ist Kuntz wegen erwiesener Klasse „außer Diskussion“, wäre die nicht da, könnte ihn auch und gerade der deutsche Trainer nicht stützen. Die nächsten beiden Spiele führen Besiktas nach Trabzon und zu Fenerbahce. Das, hat man dem Neuen mitgeteilt, sind „die zwei schlimmsten Spiele, die's gibt“. Danach wird man sehen, ob alles gut oder auch alles aus ist. Für heute. Stefan Kuntz mag sich auf die Achterbahn nicht einlassen, er hat zumindest mittelfristig geplant. Tochter Laura geht in die zweite Klasse der Botschaftsschule, für Sohn Marc ist ein Kindergartenplatz gefunden, der Vertrag läuft zwei, womöglich drei Jahre. Kuntz schaut genau hin und lernt täglich dazu. Hat sein Spiel dem, was er vorfand, angenähert, hat gemerkt, daß die von ihm gern forcierte „Kritik auf dem Platz“ von den Kollegen „sehr persönlich genommen“ wird. Also? Läßt er das Schreien.

Stefan Kuntz ist der Älteste bei Besiktas. Nicht mehr der Polizist, der Vorzeigekapitän mit Herz, der ehrliche Kämpfer, der etwas andere Profi sind die Rollen, in die man ihn zwängt. „Yașli“, sagt er, „steht in jedem Bericht, „Yașli“, der Alte, nicht so das, was man gern über sich liest. Doch, sagt er, „dahinter steht immer häufiger ,aber‘“. Aber: trotzdem gut. Morgen fliegt er zurück – direkt in seinen Umzug hinein. In der Liga hat er noch kein Tor geschossen, und „daß wir jetzt schwere Wochen vor uns haben“, weiß er. Schreckt ihn aber nicht. Die Kollegen, stellt er fest, „honorieren den kleinsten Versuch, Türkisch zu sprechen“. Überall bemerkt er Fortschritte. Das eine wird mehr, das andere weniger.

„Die Zeit auf der Toilette“, sagt Stefan Kuntz, „habe ich nun hinter mir.“