Lava aus Beton im lieblichen Tal

Früher stromerten hier Wildkatzen, heute rutschen den übriggebliebenen Tannen die Wurzeln weg. Ein Stück Autobahn zerstört das Eifel-Idyll. Womöglich unerlaubterweise  ■ Von Heide Platen

Verdammt verloren steht die silbergraue Rostlaube auf der gigantischen Trasse. Große Felsbrocken versperren den Weg, zerschrammen das Bodenblech. Der Waldweg oberhalb des Kyll-Tales und unterhalb der Großbaustelle für den ersten Teilabschnitt der A60 ist zugewuchert. Niemand fährt mehr in den kühlen Grund, in dem noch die Alte Mühle steht.

Gewesene Idylle, hier stromerten Wildkatzen.

An den Berghängen zu beiden Seiten des einst lieblichen Tales ragen riesige Betonpfeiler in die Luft über der Eifel. Der Hang wird fundamentiert, er war zu Tale gerutscht. Ein Vorarbeiter ist stolz: „1.000 Meter Beton haben wir da unten schon reingerotzt.“

Durch den Plastikrüssel der Betonpumpe fließt der graue Brei aus den Betonmischern unermüdlich in die Landschaft. Die Arbeiter sind nicht gesichert, stehen auf Felsbrocken und Hügeln glitschiger Erde. Tonnenschwere Felsquader hängen über der Arbeitsstelle, Erdrutsche ziehen ihre Schlieren, dicke Brocken sind überall abwärts gerollt. Das Befestigungswerk ist erforderlich, weil der Berg sich in Bewegung gesetzt hatte: „Da stoßen Fels- und Lehmschichten aufeinander“, sagt ein Fachmann.

Ununterbrochen donnern neue Lastwagen mit frisch gemixtem Beton heran. Bernhard Renner hat das Durchfahrtsverbot ignoriert. Sein Wagen verschwindet in einer Staubwolke – in diesem Moment erklärt der Sprecher der Bürgerinitiative gegen die A60: „Die Kleinklimaveränderungen in solch einer Schneise sind enorm.“

Den Tannen rutschen die Wurzeln weg. Felsbrocken versperren den schmalen Waldweg in den Talgrund. Bernhard Renner sitzt in der Falle. Im Rückwärtsgang ist hier nicht wieder herauszukommen, rechts befindet sich der Abgrund. Jeden Augenblick könnten wieder Steine rollen.

Die Räder fressen sich ein, rutschen knapp an einem Felsbrocken vorbei, schleudern Schlamm, der Wagen rückt zentimeterweise herum.

Zurück geht es über die Trasse in das kleine Dorf Fließem mit Blick auf die künftige Autobahn. „Ich bin neulich dort oben gewesen“, sagt eine junge Frau und deutet in Richtung der Kräne: „Man findet sich nicht mehr zurecht. Wo mal was war, steht nichts mehr, wo nichts war, steht man vor einem Haufen Dreck.“ Den Fließemern war versprochen worden, die Trasse werde von ihrem Dorf aus nicht zu sehen sein.

Eine Million Kubikmeter Erde sollen allein an dieser Baustelle noch bewegt werden. Das ist auch der Grund, warum die Betreiber die gigantische, 94 Meter hohe Brücke zuerst in Angriff genommen haben, die den größten Massivbogen Europas schlagen soll. Über sie werden mit Erde beladene Lkws rollen – hier ein Berg weg, dort ein Tal aufgefüllt. Das Teilstück Bitburg–Badem, Kostenpunkt 310 Millionen Mark, ist nur der Anfang von insgesamt vier geplanten Abschnitten von 28 Kilometern Länge.

Doch nicht nur die Baustelle, sondern auch die Rechtsgrundlage ist rutschig. Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Koblenz hatte im Dezember 1994 auf Antrag betroffener Landwirte befunden, daß die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) für den nächsten Bauabschnitt fehle und daher vorerst ab Badem nicht weitergebaut werden darf. Die UVP war von der Europäischen Union seit 1985 mit einer Frist für die nationale Umsetzung bis 1988 verbindlich festgelegt, von der Bundesregierung aber auf 1990 vertagt worden. Zuvor hatte schon der Europäische Gerichtshof entschieden, daß deshalb die Planung der B15 in Bayern hinfällig sei. Das OVG Koblenz sah außerdem in der vom Land „beständig“ wiederholten Argumentation, die Verbindung „zwischen den belgischen Seehäfen und dem Rhein-Main- Gebiet“ müsse her, einen Widerspruch zu dessen Argumentation, die 28 Kilometer seien lediglich ein „Lückenschluß“ eines bestehenden Verkehrsnetzes. Das sei „erkennbar nicht das eigentliche Ziel“. Der Bauabschnitt, der an seinen „beiden Enden gleichsam auf der grünen Wiese endet“, könne außerdem nur „in seiner Mitte über eine Anschlußstelle angefahren werden“.

Anfang des Jahres hatte der Bundesrechnungshof die private Vorfinanzierung als verdeckte Kreditaufnahme „zu Lasten künftiger Generationen“ für dieses und andere Pilotprojekte gerügt, zu denen außer der Eifelautobahn auch Bundesstraßen, die vierte Elbtunnelröhre in Hamburg und ein Tunnel bei Stuttgart gehören. Die Tilgung in 15 Jahresraten komme die Bundesregierung auf Dauer nicht billiger, sondern langfristig teurer zu stehen.

Die Bürgerinitiative glaubt, daß die weiteren Teilstücke die Umweltverträglichkeitsprüfung ohnehin nicht überstehen werden. Die Zerstörung der Eifeltäler sei sinnlos, der tatsächliche Bedarf und die Wirtschaftlichkeit seien nicht gegeben. Damit wären die 7,8 Kilometer tatsächlich im roten Lehm der Eifelberge in den Sand gesetzt. Noch in diesem Monat wird sich das Bundesverwaltungsgericht in Berlin mit der Klage des Bauern Hartwig Lautwein befassen und ein auch für andere Bauvorhaben gültiges Urteil fällen. Lautwein hatte in der Vergangenheit mit lancierten Gerüchten zu kämpfen, er wolle sich seine Gegnerschaft abkaufen lassen.

Entschiede das BVG gegen die Autobahn, könnte es sein, daß wenigstens das Dorf Badem und seine tausend Einwohner um die Touristenattraktion eines gigantischen Schildbürgerstreiches reicher wären. Dort, wo bisher Schafe grasen und Hühner noch über die Dorfstraße laufen, würde das rechtswidrig ohne Umweltverträglichkeitsprüfung begonnene Monument dann auf dem Acker enden.

Elisabeth von den Hoff, eine der GegnerInnen der ersten Stunde hält die Teilstücke wie auch die Autobahn überhaupt für überflüssig. Sie befürchtet die absurde Situation, daß das eine oder andere Teilstück doch noch genehmigt würde, nicht aber das zwölf Kilometer lange Mittelstück Badem–Landscheid. Bei Badem wurde ein tägliches Autoaufkommen von 2.700 Wagen gezählt. Das reiche „noch nicht einmal für den Bau einer neuen Landstraße“.

Und daß die Straße „ein Segen“ für die strukturschwache Eifel sei, wie der zuständige Landrat beim ersten Spatenstich im September 1994 schwärmte, kann sie auch nicht erkennen. Die dann von Holland durchrollenden Lastwagen ließen nur ihren Smog zurück, nicht aber Arbeitsplätze.

Die Bundestagsabgeordnete Ulrike Höfken (Bündnis 90/Die Grünen) ist zu Besuch im Büro der Grünen in Bitburg und findet die A60 „so überflüssig wie einen Kropf“. Es gebe, so auch die Grünen, durchaus Bedarf an der Verbesserung von Kreis- und Umgehungsstraßen „für den Quellverkehr“, nicht aber für den Durchgangsverkehr. Außerdem sei es hanebüchen, Geld in unsinnige Straßengroßprojekte zu stecken und die Förderung der Bundesbahn im Haushalt 1996 um mehrere Milliarden Mark zu kürzen.

Bei der Bevölkerung im Kreis Bitburg-Prüm, Autokennzeichen „BIT“, stößt das Projekt mehrheitlich auf große Gegenliebe. Schließlich ist auch Brauereibesitzer Axel Simon dafür, denn er könnte, schrieb er der Lokalzeitung, „jährlich 3,4 Millionen Mark Frachtkosten einsparen“ und so die Umwelt schonen. Ulrike Höfken: „Bitburg, das ist eigentlich mehr eine Brauerei als eine Stadt.“ Und Simon glaubt, ebenso wie Wirtschaftsminister Brüderle, an den Aufschwung. Dabei hat der Kreis Bitburg-Prüm mit 784 Kilometern nicht nur das ohnehin dichteste Straßennetz, sondern auch die höchste Unfallrate in Rheinland- Pfalz. Im Juli formierte sich die vorübergehend eingeschlafene Bürgeraktion für den Weiterbau der Autobahn „A60 – Ja“ vom belgischen St. Vieth bis Wittlich.

Die EinwenderInnen sehen eher den Abschwung der vom Tourismus lebenden Region kommen. Und Bauern fürchten um ihre Existenz. Wie es ausgekauften und überredeten Anliegern ergehen kann, die für den ersten Abschnitt ihr Land hergegeben hatten, hat Bauer Heinrich Benz erfahren, der sich um die Zusage, seinen Acker bei Verkauf noch zehn Jahre nutzen zu können, betrogen fühlt. Er sieht seine Existenz vernichtet und fluchte in einer Radiosendung: „Zum Teufel mit der gottverdammten Scheiß-A-60!“

Da war der Besitzer der „Miel“ im Kyll-Grund besser dran, der das Haus, sagen die Fließemer, vor 20 Jahren für nur 60.000 Mark erstanden, nun aber für 1,2 Millionen Mark verkauft habe.

Der Bundestagsabgeordnete Peter Rauen (CDU) ist sauer auf die Grünen. Der Bauunternehmer, Hoch und Tief, und Autobahnbefürworter hatte sich an der Privatisierungskampagne des Bauabschnitts I beteiligt und einen Auftrag für seine Firma ergattert. Den Vorwurf, er hätte da politische und private Interessen vermischt, fand er empörend und nannte ihn glatt „eine Lüge“. Er lobte das Finanzierungsmodell, denn es müsse erst zurückgezahlt werden, wenn „die größten Belastungen durch die deutsche Einheit“ ausgestanden seien, und der Abschnitt werde trotzdem früher fertigstellt. Der Bund, rechnete er vor, „kauft damit Zeit“.

Ulrike Höfken sieht davon seit den ersten Planungen 1969 schon zu viel vergangen: „Das Projekt ist völlig veraltet.“ Sie vermutet eine psychologisch bedingte Sturheit: „Die haben 25 Jahre darum gekämpft und können jetzt nicht mehr zurück.“