■ Hat Greenpeace verloren? Thomas Schultz-Jagow von Greenpeace International zur Protestaktion vor Moruroa
: „Wir wollen mehr als ein Spektakel“

taz: Greenpeace hat zwei große Schiffe, neun Schlauchboote und seinen Hubschrauber vor Moruroa verloren. Das französische Militär setzt sich mit einer Pressekampagne in Szene, die von Ihrer Organisation abgeschaut sein könnte. Und schon heißt es in den Medien, Greenpeace habe die Schlacht gegen die Franzosen erst mal verloren.

Thomas Schultz-Jagow: Der Begriff „Schlacht“ gefällt mir überhaupt nicht. Wir haben von Anfang an gesagt, daß wir nicht Schiffe der Friedensflotte gegen französische Kriegsschiffe aufrechnen. Abgesehen davon haben wir mit unserer Aktion am Montag gezeigt, daß wir immer noch in der Lage sind, mit unseren Booten in die Lagune von Moruroa einzudringen. Es geht uns darum, den Protest vor Ort fortzusetzen.

Was bleiben Ihnen jetzt für Möglichkeiten?

Wir wollen nicht einfach das Spiel wiederholen und jeden Tag neue Schlauchboote in die Lagune schicken. Aber wir versuchen weiterhin, mit unseren Aktionen Zeit zu gewinnen, damit politische und juristische Initiativen greifen können, um die Atomtests zu verhindern.

Wie viele Leute haben Sie noch vor Ort, wie viele Schlauchboote?

Dazu sage ich nichts. Aber es ist ja wohl klar, daß wir nicht alle unsere Trümpfe aus der Hand gegeben haben.

Die Friedensflotte ist deutlich kleiner als angekündigt. Sie haben zwei Ihrer Schiffe verloren und können von Ihrem eigenen Protest keine Bilder mehr um die Welt funken. Hat sich Greenpeace mit der Aktion überhoben?

Natürlich ist die Logistik hier schwerer als etwa in Europa. Aber 25 bis 30 Boote vor Ort – das ist ganz beachtlich, wenn man sich auf der Weltkarte ansieht, wo Moruroa liegt. Was den Verlust der Boote anbelangt – bei unserer Strategie müssen wir eben auch Risiken eingehen. Ohne die „MV Greenpeace“ mit ihren technischen Möglichkeiten wird unser Protest schwerer zu realisieren sein, aber er wird nicht unmöglich.

In den Medien bläst Greenpeace der Wind im Moment ganz schön ins Gesicht.

Das hängt stark mit der Erwartungshaltung der Medien und der Öffentlichkeit nach unserer erfolgreichen Kampagne gegen die Versenkung der Brent Spar zusammen. Alle erwarten es von uns jetzt größer, schöner, besser. Wer das jedoch nur so betrachtet, der hat nicht verstanden, was wir wollen.

Die Journalisten haben also nicht begriffen, worum es geht. Aber auf die Medien ist Greenpeace bei all seinen Aktionen geradezu angewiesen.

Das genau ist unser Drahtseilakt. Wir werden hier ständig von Kameras beobachtet. In jeder Minute schauen uns Journalisten auf die Finger, selbst nachts um drei gehen sie bei uns rein und raus. Das erhöht unser Fehlerrisiko. Wir machen gewissermaßen eine gläserne Kampagnenplanung. Und dadurch setzen wir uns dem Vorwurf aus, daß alles, was wir tun, just for show ist. Wir müssen zeigen, daß es uns nicht nur darum geht, für die „Tagesschau“ ein perfekt getimtes Spektakel zu inszenieren, sondern darum, ernsthaft einen Protest zu organisieren, wenn es auch nur ein symbolischer ist.

Gelingt Ihnen das?

Das ist eben die Frage. Ich hoffe sehr, daß die Öffentlichkeit versteht, daß wir das alles nicht nur machen, um medienwirksam in Erscheinung zu treten. Gerade in der Frage der Atomtests, wo die „Rainbow Warrior“ versenkt und unser Fotograf Fernando Pereira getötet worden ist. Wir wollen die Tests endlich stoppen. Daß der Aufwand dafür sehr groß ist, daß jedes Greenpeacebüro weltweit daran arbeitet, daß ist für uns damit schlicht auch eine Frage der Glaubwürdigkeit.

Sie beschweren sich darüber, daß die Medien immer größere, spektakulärere Aktionen von Ihnen erwarten. Aber an dem Vorwurf ist doch auch was dran: Früher hat Ihnen ein Schiff gereicht, um vor Moruroa zu protestieren, heute brauchen sie vier – und dazu noch eine ganze Friedensflotte. Befördern Sie diese Ansprüche also nicht selbst?

Diese Gefahr besteht tatsächlich, und manchmal laufen wir in eine von uns selbst aufgestellte Falle. Im jetzigen Fall aber trifft das nicht zu. Die Friedensflotte gehört nicht in die Kategorie technisch immer perfekterer Aktionen. Hier ist einfach die Qualität des Protests etwas Neues. Da engagieren sich Privatleute mit ihrem eigenen Vermögen.

Die Greenpeace-Kampagnenarbeit beschränkt sich aber andererseits nicht auf diesen Brennpunkt vor Moruroa. Die fängt an bei läppischen Buttons, T-Shirts und Unterschriftenlisten und endet eben hier bei der Konfrontation mit der französischen Marine. Aber für die Medien ist nur die Speerspitze interessant.

Das gilt aber auch für Greenpeace. Um die betroffene Bevölkerung in Polynesien geht es bei Ihren Protesten fast gar nicht. Örtliche Initiativen haben sich beklagt, daß man nicht nur durch das Vorgehen der Franzosen, sondern auch durch die Art, wie Greenpeace seine Aktionen organisiert, den Eindruck gewinnen könnte, das alles spiele sich in einem menschenleeren Raum ab.

Das möchte ich ausdrücklich zurückweisen. Wir haben schon seit Jahren Kontakte mit den örtlichen Initiativen, wir haben Polynesier mit an Bord genommen, damit auch sie ihren Protest bis nach Moruroa tragen können. Aber es stimmt, daß sich Greenpeace nicht auf langfristige politische Verpflichtungen in Französisch-Polynesien einlassen will und kann. Für uns sind die Prinzipien der Überparteilichkeit und der Gewaltfreiheit entscheidend. Und deshalb haben wir Probleme damit, daß hier der Anti-Atom-Widerstand massiv verknüpft ist mit zum Teil sehr radikalen, auch gewalttätigen Befreiungsbewegungen. Wir müssen vermeiden, uns vor deren Karren spannen zu lassen.

Die Konfrontation mit dem Feind auf dem Meer, die wagemutigen Schlauchbootaktionen, scheinen für Greenpeace die Rückkehr zu den Wurzeln zu bedeuten. Ist das ein Zeichen dafür, daß sich Ihre Organisation künftig auf ihre klassischen Stärken zurückzieht, weg von unspektakulärer Hintergrundarbeit?

Über die zwei Traditionen, die da angeblich aufeinanderprallen, wird ja viel geschrieben. Das trifft jedoch nicht zu. Auch jetzt verfolgen wir eine ganze Bandbreite von Aktivitäten: neben den Bootsaktionen beispielsweise die Klage vor dem französischen Staatsgerichtshof, an der zahlreiche Juristen arbeiten, die nie in ein Schlauchboot steigen würden. Wir sind immer da am besten, wo wir beides machen. Interview: Nicola Liebert, Papeete