„Ich fliehe nicht“

■ Osman Murat Ülke über seine Gründe, den Kriegsdienst in der Türkei zu verweigern

taz: Sie haben vom türkischen Militär einen Einberufungsbefehl für den 31. August erhalten. Seitdem sind Tage vergangen, doch Sie sind noch kein Soldat ...

Osman Murat Ülke: Ich habe den Einberufungsbefehl im Verein der Kriegsgegner in Izmir verbrannt. Nach dem Prozeß vor dem Militärgericht vergangene Woche versuchten sie, mich zwangszurekrutieren.

Das Gericht hat Sie wegen „Entfremdung der Bevölkerung vom Militär“ angeklagt.

Ich war der einzige Angeklagte, der freigesprochen wurde. Die drei mitangeklagten Freunde wurden zu Gefängnisstrafen von zwei bis sechs Monaten verurteilt. Das Militärgericht ähnelt dem Staatssicherheitsgericht, das für politische Fälle zuständig ist. Egal ob Staatssicherheitsgericht oder Militärgericht – es ist keine unabhängige Gerichtsbarkeit. Das Militärgericht ist ein unmittelbares Instrument der Militärs. Die Kriegsgegner in der Türkei führen auch eine Kampagne zur Abschaffung der Militärgerichtsbarkeit.

Sie sind ein Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen. Wie hat diese Position die politische Diskussion in der Türkei beeinflußt?

Unsere Position als Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen ist nicht von der Politik zu trennen. In der Türkei herrscht ein Krieg gegen die Kurden. Wir leisten zivilen Ungehorsam gegen diesen Krieg. Es gibt in der Türkei zwar viel Kritik an diesem Krieg, aber wenig Formen des individuellen zivilen Ungehorsams. Genau dies betreiben wir. Wir sind Teil einer politischen Gesamtbewegung gegen diesen Krieg.

Gibt es auch Widerstand gegen den Kriegsdienst in der Türkei, der nicht solch öffentlich-spektakuläre Formen – wie das in Izmir praktizierte Verbrennen der Wehrpässe – annimmt?

Es gibt in der Türkei rund 400.000 Wehrflüchtige. Natürlich gibt es unterschiedliche Motive bei den Wehrdienstverweigerern. Unter ihnen sind viele Jugendliche, die in Großstädten leben. Viele haben Angst, in diesem Krieg zu sterben. Dann gibt es viele Kurden, die aus einer nationalen Motivation nicht zum türkischen Militär gehen.

Wie sieht Ihre Zukunft aus? Sie sind jetzt fahnenflüchtig. Wird die Militärpolizei Sie festnehmen?

Ich habe nicht vor, vor der Polizei zu fliehen. Sie können mich fast jederzeit hier im Verein der Kriegsgegner und Kriegsgegnerinnen antreffen. Ich erwarte innerhalb dieser Woche meine Verhaftung. Die Verbrennung des Einberufungsbefehls war für den Staat eine Provokation. Doch wenn ich verhaftet und in die Kaserne gebracht werde, werde ich mich stur stellen. Ich werde auch keine Uniform anziehen. Wahrscheinlich wartet auf mich bereits eine Einzelzelle im Militärgefängnis. Das Gespräch führte Ömer

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