piwik no script img

Niederlage der Regierung in Kabul

Taliban-Truppen sind wieder auf dem Vormarsch. Sie haben die Provinzhauptstädte Herat und Farah sowie den zweitgrößten Luftwaffenstützpunkt Afghanistans erobert.  ■ Aus Delhi Bernard Imhasly

Die islamistische Taliban-Bewegung hat nach eigenen Angaben in ihrer jüngsten Offensive gegen die Regierung in der Nacht zum Dienstag die westafghanische Provinzhauptstadt Herat eingenommen. Der Gouverneur der Provinz, General Ismail Khan, ist offenbar in den Iran geflüchtet. Ein Sprecher der afghanischen Botschaft in Islamabad bestritt allerdings gestern, daß Herat schon gefallen sei. In der Stadt werde noch gekämpft.

Bereits am Sonntag war der Luftwaffenstützpunkt Shindad ohne größere Kämpfe gefallen. Einen Tag zuvor hatten Taliban- Truppen auch Farah, die Hauptstadt der gleichnamigen Provinz, überrannt. Am Montag meldete das afghanische Verteidigungsministerium zwar, 2.000 Soldaten seien in Marsch gesetzt worden, um Shindad zurückzuerobern. Mit dem Fall von Herat wird eine Gegenoffensive der Regierung jedoch erheblich erschwert. Zusätzlich zum Verlust der Provinz Farah ist die kampflose Aufgabe der Provinzhauptstadt Herat und der zweitgrößten Luftwaffenbasis Afghanistans an die Taliban-Truppen eine empfindliche Niederlage für Präsident Burhanuddin Rabbani und seinen Oberkommandierenden Ahmed Shah Massud.

Die Aufgabe der Provinz an der Grenze zum Iran kommt überraschend. Denn es waren die Truppen von Verteidigungsminister Massud gewesen, welche vor zehn Tagen einen inoffiziellen Waffenstillstand beendet hatten, als sie die von den Taliban beherrschte Straßenachse zwischen Kandahar und Herat angriffen. Sie hatten begonnen, die studentischen Islamkrieger, zu denen sich inzwischen viele Mudschaheddin gesellt haben, nach Osten und damit von ihrer Hochburg Kandahar abzudrängen.

Die Regierungsoffensive war möglicherweise Teil einer Strategie von Massud, die von ihm beherrschte Region um die Hauptstadt Kabul mit der Provinz Herat zu verbinden, die von seinem Verbündeten Ismail Khan kontrolliert wurde. Die Regierung brauchte unbedingt mehr territoriale Substanz, um ihre wachsende diplomatische Legitimität abzusichern.

Im Norden gelang ihr nämlich bisher kein entscheidender Sieg über General Rashid Dostam, und die paschtunischen Provinzen im Süden und Osten erlauben bestenfalls temporäre Terraingewinne. Seit Wochen waren Massuds Truppen außerdem in Kämpfe mit den schiitischen Hazaras im zentralen Bergland um Bamian verwickelt. Massud hatte daher versucht, nach Westen auszubrechen. Die Unterbrechung der wichtigen Strasse Kandahar–Herat hätte als Absicherung des Vorstoßes einen wichtigen Schritt zur Verwirklichung dieses Planes gebildet.

Mit der Eroberung der Provinz Herat haben nun die Taliban zum erstenmal wieder einen militärischen Erfolg errungen, seit ihr siegreicher Vormarsch im März kurz vor Erreichen der Hauptstadt Kabul gestoppt worden war. Seitdem war es still geworden um die Kämpfer, die erst vor zehn Monaten aus dem Nichts aufgetaucht waren und innerhalb kurzer Zeit ein Drittel Afghanistans erobert hatten.

Ob Massud in der Lage sein wird, die verlorenen Provinzen zurückzuerobern, ist derzeit fraglich. Auch ist unklar, wie sich der mehrheitlich schiitische Iran angesichts dieser Entwicklung jenseits seiner Grenze verhalten wird. Der Taliban wird nachgesagt, daß sie einen radikalen sunnitischen Islam vertreten, und daß sie auch von Wahhabiten aus Saudi Arabien unterstützt werden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen