■ Die kleine Breitseite
: Reich-Ranicki, Grass, Staeck und die taz-Hatz

Die Seite 10 der taz hatz meistens in sich: Sie ist die Spielwiese für Diskussionen aller Art. Ein Freiraum, der von kämpferischer Liberalität des Blattes zeugt. Doch die Freiheit hat ihren Preis. Neben AutorInnen, deren Gedanken ich nicht missen möchte, dürfen hier auch Menschen, die der festen Meinung sind, sie hätten eine solche, ihre Geisteskinder in den Laufstall schicken.

Das ist Nachwuchsförderung, von der andere Zeitungen nur träumen können. Auf Sprachtestversuche kann in absehbarer Zeit nicht verzichtet werden, aber muß denn die taz, die ja in den letzten Jahren zum Truppenübungsplatz großkalibriger Argumente geworden ist, auch ein Testgelände für Blindgänger sein? Anders gefragt: Wie bescheuert muß ein Artikel eigentlich sein, daß er nicht gedruckt wird? Gibt es ein Limit?

Der Kommentar von Viola Roggenkamp (taz vom 1. September) legt die Vermutung nahe: nein! Unter der Überschrift „Deutsche Fortsetzungsgeschichte“ macht sich Frau Roggenkamp besonders schlau. Sie hat den Grafiker Klaus Staeck dabei belauscht, wie dieser beim Betrachten des Juden Reich-Ranicki auf dem Spiegel-Titel eine „bitterböse Pointe“ gewittert haben muß: „Da zerreißt ein Jude das Werk eines deutschen Dichters!“ Pfui Teufel! Dazu muß ich ein Plakat machen! Mit blutroter Frakturschrift will ich, Klaus Staeck, darauf schreiben: „Vom Umgang mit Büchern – Eine deutsche Fortsetzungsgeschichte.“ Liebe Frau Roggenkamp, ich finde es großartig, daß Sie im Stile der Orwellschen Gedankenpolizei, die Witterung Ihnen verdächtiger Menschen, zu Papier bringen können. Entscheidend ist ja nicht das Plakat, es kommt vielmehr darauf an, was sich Klaus Staeck dabei gedacht haben könnte. Auch wenn es womöglich gar nicht zum Ausdruck kommt, der Hintergedanke ist schon strafbar, sofern ihn die heilige Inquisition als solchen erkennt.

Klaus Staeck hat einen „bekannten deutschen Juden“ mit Nazi-Fraktur konfrontiert. Für Frau Roggenkamp reicht das schon aus: Staeck denunziert den jüdischen Intellektuellen als Zerstörer deutschen Gedankengutes und erweist sich damit als „68er“, der seinen „heimlichen Antisemitismus“ geoutet hat.

Mit Verlaub, Frau Roggenkamp, haben Sie sich diesen vulgär-psychologischen Schwachsinn selber beigebracht? Oder haben Sie nicht mehr alle Tassen im Schrank! Darf ein Grafiker – weil Reich-Ranicki Jude ist – nicht darauf aufmerksam machen, daß die ekelhafte Art und Weise, wie sich der Giftzwerg auf dem Spiegel-Titel, aus lauter triefender Eitelkeit, zum Grass-Zerstörer machen läßt, an den Sturm und Drang der Nazis erinnert?

Haben Sie jemals darüber nachgedacht, welche symbolische Aussagekraft ein solches Titelbild hat? Klaus Staeck hat zum Spiegel-Titel angemerkt: „Wer offenbar inzwischen jedes Gespür dafür verloren hat, welch unheilvolle Assoziationen ein solches Bild bei vielen Betrachtern auslösen muß, sollte sich einen anderen Job suchen, in dem er weniger Unheil anrichten kann.“

Ich sehe da keinen heimlichen Antisemitismus. Eins aber ist sicher, an Ihnen ist der heiligen Inquisition eine Spürhündin verlorengegangen. Matthias Deutschmann

Der Kabarettist lebt in Berlin und Freiburg