Schlittenfahrt mit der „roten Renate“

Der Dauerstreit in der bayerischen SPD soll morgen entschärft werden. Renate Schmidts Kontrahent und Schröder-Fan Albert Schmid hat schlechte Karten. Tritt er als Generalsekretär zurück?  ■ Von Bernd Siegler

„So eine zerstrittene Partei ist nicht wählbar, wenn nicht schnell etwas passiert, dann geht es ganz böse in den Keller.“ Peter-Paul Gantzer, SPD-Landtagsabgeordneter aus München, befürchtet, es könnte für die weißblauen Sozis noch schlimmer kommen, wenn der Streit zwischen der Landeschefin und Scharping-Gefolgsfrau, Renate Schmidt, und ihrem Generalsekretär und Schröder-Spezi, Albert Schmid, nicht bald ein Ende hat. Denn im Keller ist die bayerische SPD landespolitisch schon seit langem. Souverän wie eh und je holte die CSU bei den Landtagswahlen im letzten Jahr die absolute Mehrheit. Die SPD landete abgeschlagen bei 30,0 Prozent. Im März kommenden Jahres sind Kommunalwahlen, und da stehen auch bescheidene Erfolge der Sozialdemokraten wie die überraschende Eroberung schwarzer Hochburgen, Passau, Straubing oder Eichstätt, auf dem Spiel.

„Der Streit blockiert doch die ganze Partei“, klagt Gantzer und hat auch eine Lösung parat: Schmid solle als Generalsekretär zurücktreten und der Posten eines geschäftsführenden Fraktionsvorsitzenden müsse wieder gestrichen werden. „Es kann nur einer das Sagen haben.“ Und dies soll, so wollen es sechs der sieben bayerischen Bezirksvorsitzenden, Renate Schmidt sein. Immerhin habe sie als Spitzenkandidatin bei den Landtagswahlen 4 Prozent mehr herausgeholt als ihr Vorgänger. Statt Freude über diesen Zuwachs, stand nach den Landtagswahlen sofort innerparteilicher Knatsch ins Haus.

Die „rote Renate“ wollte als Fraktionsvorsitzende die Regierung Stoiber „vor sich herjagen“. Doch der Posten war besetzt – mit Albert Schmid aus Regensburg. Es krachte kurz und heftig – und heraus kam ein fauler Kompromiß. Schmidt wurde Fraktionschefin, der ehrgeizige Schmid erhielt als Trostpflaster den neu geschaffenen Posten eines Generalsekretärs und eines geschäftsführenden Fraktionsvorsitzenden. Später wurde er dann noch stellvertretender Landesvorsitzender.

„Das ist einmalig in der Parteienlandschaft, daß der Generalsekretär, das Organ des Landesvorstands, zugleich Mitglied desselben ist“, schüttelt Wolfgang Hoderlein den Kopf. Der Lehrer aus Kulmbach war eigentlich von Renate Schmidt zum Generalsekretär auserkoren worden. Er will nicht nachkarten, aber seiner Meinung nach war Schmid eindeutig die falsche Wahl. „In der zweiten Reihe stehen, das entspricht nicht seinem Ego.“

Aus der „starken Lösung in bestem Einvernehmen“ (Schmidt), gefeiert mit ein paar Küßchen zwischen den Kontrahenten, wurde schnell ein Dauerkrach. Zumal sich das von der „Powerfrau“ Schmidt lauthals angekündigte Stoiber-Jagdfieber als laues Lüftchen erwies. Als Innenminister Beckstein und sein Landeskriminalamt in der Plutonium-Affäre bedenklich wankten, ließ sich Renate Schmidt die Chance entgehen, die Landesregierung in die Enge zu treiben. Statt dem Gezeter der CSU, das Bundesverfassungsgericht hätte mit seinem Kruzifix- Urteil dem christlichen Abendland den Todesstoß versetzt, offensiv entgegenzutreten, forderte die SPD-Chefin die Eltern auf, ihre Kinder christlich zu erziehen.

Im SPD-Sommertheater „Schröder kontra Scharping“ kam es schließlich zur längst fällige Eskalation des Konflikts. In zahlreichen Interviews gab Schmid zum besten, daß er im Gegensatz zu seiner Chefin Gerhard Schröder als Kanzlerkandidaten favorisiere. Immer wieder ermahnte Schmidt daraufhin ihren Kontrahenten zur Zurückhaltung. Der gelobte Besserung – bis zum nächsten Interview. „Ich bin kein Diener von Renate“, tönte er, nachdem in einem Vier-Augen-Gespräch kurz zuvor das Ende der Debatte vereinbart worden war. „Schlittenfahren lasse ich mit mir nicht“, konterte die SPD-Chefin daraufhin barsch. Sie würde Schmid kein zweites Mal zum Generalsekretär vorschlagen.

Seitdem bläst dem Regensburger der Wind ins Gesicht. Der Chef der SPD-Landesgruppe in Bonn, Ludwig Stiegler, will auf der Landesvorstandssitzung am Donnerstag gar einen Sonderparteitag beantragen, um Schmid als Generalsekretär abwählen zu lassen. „Wir brauchen einen Befreiungsschlag.“ Sein oberfränkischer Genosse Heinz Köhler plädiert ebenfalls für ein „Ende mit Schrecken“ und führt die alte Bauernregel an, daß auf einem Misthaufen nicht zwei Hähne krähen könnten.

Neidvoll blicken die Sozis auf die Schwarzen. Die haben zwei Hähne, aber auch zwei Misthaufen: Einen für Waigel in Bonn und einen für Stoiber in München. Im Kruzifix-Streit verstand es die CSU zudem glänzend, ihre katholischen Bataillone um sich zu scharen. Trotz aller Affären konnte die CSU im ersten Halbjahr dieses Jahres einen satten Mitgliederzuwachs verzeichnen. Die SPD verlor dagegen 2.200 Mitstreiter – ohne Aussicht auf Besserung.

Im Gegenteil. Ob Hoderlein im Norden oder Gantzer im Süden des Freistaats – allen macht die Unruhe an der Basis Sorge. „Statt sich um den Kindergarten um die Ecke oder die Verkehrsberuhigung zu kümmern, diskutieren die über Schmidt und Schmid“, betont Gantzer.

Gerade nach Schröders Disziplinierung durch Scharping stehen die Karten für Schmid schlecht. Die Nachrichtenagentur dpa will aus sicherer Quelle erfahren haben, daß sein Rücktritt vom Posten des SPD-Generalsekretärs bereits besiegelt sei. In den letzten Tagen hatte der Regensburger sich in Deeskalation versucht und ließ verlauten, daß es ihm um eine „vernünftige Lösung“ und „nicht um irgendwelche Titel“ gehe. Und Renate Schmidt, die im Spitzenstreit laut Stiegler „auch ihre Kratzer abbekommen“ hat? Sie holte sich Anregungen auf den Liparischen Inseln – beim feuerspeienden Vulkan Stromboli.