Nickeligkeiten im Streit um den Frieden

■ Grünen-Parteispitze attackiert Fraktionsvorstand und nennt Nato-Luftschläge eine "falsche Antwort". Die Auseinandersetzung um Bosnien nimmt an Schärfe zu. Angelika Beer sieht sich als Opfer von Zens

Bonn (taz) – Die bislang sachlich geführte Grundsatzdebatte innerhalb der Bündnisgrünen über die Notwendigkeit militärischer Gewalt zur Verteidigung von UN- Schutzzonen in Bosnien wird zunehmend von Verfahrensstreitigkeiten und Konkurrenz um die Vertretung der Partei nach außen geprägt. Die Mehrheit des Parteivorstands ging gestern in die publizistische Offensive und nannte die Nato-Luftschläge und -Artillerieangriffe eine „falsche Antwort“ auf das Massaker von Sarajevo.

Ohne die Bundestagsfraktion direkt zu nennen, übte die Parteispitze harsche Kritik am Verhalten des Fraktionsvorstands: „In dieser Situation durch Pressemitteilungen öffentlich den Eindruck zu erwecken, Grüne würden die Bombardements der Nato rechtfertigen oder gar die zwischenzeitlich erfolgte Einstellung der Angriffe bedauern, ist verfehlt. Es steht in einem scharfen Widerspruch zu Programm und Beschlußlage von Bündnis 90/Die Grünen.“

Die Interventionsgegner in der Parteispitze ärgern sich vor allem über eine Fraktionserklärung von vergangener Woche, die sie als Provokation empfinden. Der Fraktionsvorstand hatte darin zwar die Eskalation bedauert, die Luftangriffe aber als „logische und grausame Konsequenz aus den jüngsten Massakern der bosnischen Serben an der muslimischen Zivilbevölkerung“ bezeichnet, was einige Medien als Zustimmung interpretierten.

Ignoriert die Fraktion Parteitagsbeschlüsse?

Mißtrauisch stimmte die Fischer- Kontrahenten zudem, daß die Fraktionssprecherin und Interventionsgegnerin Kerstin Müller in Peking weilte, als der Beschluß fiel. Fischer hatte allerdings vergangene Woche ausdrücklich nur für seine eigene Person gesprochen, als er erklärte, er fühle sich durch die Entwicklung in seiner Position bestätigt. Am Montag hatte Fischer seine umstrittenen Thesen in der ersten Sitzung der Fraktion nach der Sommerpause vertreten. Die Abgeordneten einigten sich ohne Abstimmung darauf, daß er in der heutigen „Elefantenrunde“ des Bundestages spricht. Damit fällt dem Auslöser der Debatte die schwierige Aufgabe zu, in den Passagen über die Entwicklung in Bosnien Argumente zu finden, in denen sich die gesamte Fraktion wiederfindet.

Entgegen üblicher grüner Praxis hatten sich die Kontrahenten in der von Fischer provozierten Grundsatzdebatte bislang auf die Sache konzentriert und sich gegenseitig kaum persönlich attackiert. Kleine Nickeligkeiten spielten nur am Rande der Debatte eine Rolle.

So fühlt sich die Abgeordnete Angelika Beer als Opfer von Zensur, weil ihre Kritik am Nato-Einsatz vergangene Woche nicht auf dem Briefkopf der Fraktion verbreitet wurde. Der Fraktionsvorstand verweist freilich darauf, daß nach seiner Entscheidung, zunächst keine strittigen Positionen als Fraktionsmeinung zu veröffentlichen, auch die grünen Tornado-Befürworter Gerd Poppe und Waltraud Schoppe mit der Bitte um Verbreitung von Presserklärungen scheiterten. Hans Monath