Von Menschenmetzgern und Mordwerkzeugen

■ Seit über 60 Jahren urteilen deutsche Gerichte über den „Mörder“-Vorwurf

Wer Soldaten als das bezeichnet, was sie sind, nämlich Mörder, der muß sich hierzulande immer noch auf einen langwierigen und teuren Rechtsweg begeben. Als Kavaliersdelikt hingegen geht es durch, Verfassungsrichter als Mörder zu bezeichnen, wie dies CDU- Rechtsaußen Heinrich Lummer im vergangenen Jahr anläßlich des liberalen „Soldatenurteils“ aus Karlsruhe getan hat. Nach dem zweiten „Soldatenurteil“ könnte das verbale Stahlgewitter an der Heimatfront noch weit heftiger ausfallen. Denn zum ersten Mal seit 50 Jahren ist eine deutsche Armee wieder im Kampfeinsatz.

Begonnen hat der Streit 1931 in der Weimarer Republik. Kurt Tucholsky hatte in der Zeitschrift Weltbühne geschrieben: „Sagte ich: Mord? Natürlich Mord. Soldaten sind Mörder.“ Vor Gericht endete das 1932 schließlich mit einem Freispruch für den Herausgeber der Weltbühne, Carl von Ossietzky.

Nach dem nächsten Krieg kam es immer wieder zu Verurteilungen wegen „Volksverhetzung“ und/oder „Beleidigung“. Preislage für das vielfach abgewandelte Mörder-Zitat: Zwischen 160 und 4.000 Mark. Mal ging es in einer Satire um „geborene Mörder“, mal um Vergleiche mit „Folterknechten, KZ-Wächtern und Henkern“. Mal wurde das „Töten von Menschen“ in einer Anzeige als „Tradition deutscher Armeen“ bezeichnet, mal ging es um Soldaten als „Mordwerkzeug“ oder bloß in einem Leserbrief um „bezahlte Killer im wahrsten Sinne des Wortes“. Und immer wieder beschäftigte Tucholskys Originalversion die Gerichte, zum Beispiel als Aufkleber 1994. Die allergebräuchlichste Variation aber ist die des abgewandelten Tucholsky-Zitates: „Soldaten sind potentielle Mörder.“ Wegen dieses Satzes war beispielsweise der kritische Bundeswehrmajor Helmuth Prieß Anfang der neunziger Jahre zunächst degradiert worden. 1992 hob der Wehrdienstsenat des Verwaltungsgerichts München die Degradierung jedoch in einer als sensationell bewerteten Entscheidung auf und verurteilte den 53jährigen lediglich zu einer Disziplinarbuße von 500 Mark.

Was genau hatte sich Major Prieß, Mitglied des friedensbewegten „Darmstädter Signals“, zuschulden kommen lassen? Er hatte zusammen mit 20 Kollegen den Freispruch für den Frankfurter Arzt Peter Augst begrüßt, der schon im Jahre 1984 von „potentiellen Mördern“ und „Drill zum Mord“ gesprochen hatte.

Ebenfalls 1992, nach mehr als acht Jahren Rechtsstreit, wurde die Auseinandersetzung zwischen dem Arzt und der Bundeswehr wegen „geringer Schuld“ eingestellt. Danach wagte im selben Jahr sogar der (ungediente) Tennisspieler Boris Becker den Ausspruch: „Soldaten sind potentielle Mörder – das ist ein bißchen hart, aber nicht ganz falsch.“

Bei den jetzt von Karlsruhe entschiedenen Verfassungsbeschwerden geht es nach Informationen der taz vermutlich um die Aufschrift auf einem Transparent „Soldaten sind potentielle Mörder/ Kriegsdienstverweigerer“ und ein Plakat mit der Aufschrift „Soldaten sind Mörder“ sowie die Bezeichnung „Menschenmetzger“. Hans-Hermann Kotte