„Herr Präsident, übergeben Sie den Preis nicht!“

■ Offener Brief an Roman Herzog: Friedenspreiskandidatin Annemarie Schimmel verteidigt die Fatwa gegen Rushdie und wirbt für den islamischen Fundamentalismus

Berlin (taz) – Die Front der Gegner von Annemarie Schimmel, der diesjährigen Friedenspreiskandidatin des Deutschen Buchhandels, wird immer breiter. In einem Offenen Brief an Bundespräsident Herzog haben sich gestern Künstler und Intellektuelle, Schriftsteller, Buchhändler und Verlagsfunktionäre gegen die für den 15. Oktober geplante Verleihung ausgesprochen. Herzog hatte sich bereit erklärt, den Preis an Frau Schimmel zu überreichen.

Zu den Unterzeichnern gehören Ingrid Bachér, die Präsidentin des westdeutschen PEN, Erich Loest für den Bundesvorstand des Verbandes Deutscher Schriftsteller (VS), Daniel Cohn-Bendit, F. C. Delius, Ralph Giordano, Günter Grass, Jürgen Habermas, Dieter Hildebrandt, Reinhard Mey, Taslima Nasrin, Bahman Nirumand, Sigrid Löffler, Johannes Mario Simmel, Rosemarie Trockel, Dieter Wellershoff und Peter Zadek sowie leitende Mitarbeiter der Verlage Diogenes, Eichborn, Hoffmann & Campe, Kiepenheuer & Witsch, Steidl und Wagenbach.

Die Unterzeichner beharren darauf, daß „Frau Schimmels Befürwortung der Fatwa (gegen Salman Rushdie und Taslima Nasrin, d. Red.) keineswegs ein einmaliger ,Ausrutscher‘ war, sondern Teil ihres Denkens und Fühlens ist. Seit Jahren ist die deutsche Orientalistin gerngesehener Gast in totalitären islamischen Gottesstaaten wie dem Iran. In ihrem gesamten Werk findet sich nicht eine einzige kritische Äußerung zu den Menschenrechtsverletzungen in diesen Ländern.“

Die Autoren halten dem Präsidenten verschiedene Äußerungen von Frau Schimmel vor, in denen sie die Beleidigung des Propheten „nach den meisten islamischen Rechtsschulen ein todeswürdiges Verbrechen“ nennt und, so heißt es in dem Brief, „Werbung um Verständnis für den Fundamentalismus“ betreibe. Schimmel plädiere „distanzlos für ihren ,Schützling‘ Islam und scheint bereit, dafür auch den weltweit blutig agierenden Fundamentalismus in Kauf zu nehmen“. Herzog würde mit der Überreichung des Preises „ein Zeichen setzen für Schwärmen statt Begreifen, Verdunklung statt Erhellung, Realitätsleugnung statt Mitfühlen mit den Opfern“.

Den Preis „ausgerechnet 1995 an eine Weggefährtin dieser beunruhigenden Entwicklung zu verleihen, wäre nicht nur Hohn für alle entrechteten Frauen und bedrohten Demokraten, sondern auch ein Hohn für bisherige Friedenspreisträger, die für die Freiheit des Individuums gestritten und Verfolgung in Kauf genommen haben. Herr Bundespräsident, setzen Sie ein Zeichen für Menschenrechte und Demokratie. Übergeben Sie diesen Preis nicht.“ Jörg Lau