Freundlich, fast lieb

■ Trieb gegen die Unrechtmachthaber

Sie geben sich nicht nur so, sie sind wirklich zurückhaltend, freundlich und fast lieb. Wer ihnen begegnet, kann sich kaum des Eindrucks erwehren, es mit Leuten zu tun zu haben, deren Güte einem wie ins Marmeladenglas eingemacht vorkommt. Der Bielefelder Gruppe Trieb ist ein sanfter, aber nichtsdestotrotz konsistenter Glaube zu eigen – ans Zusammensein (auf Bühnen mit Fans) und Zusammenmachen (Musik, Alltag, soziale Praxis). So weist Elmar Walljasper, Schlagzeuger der Crossover-Band, darauf hin, daß man die schnieke Lounge des Marriot-Hotels für den Interview-Termin von der Plattenfirma zugewiesen bekommen habe.

Walljasper und Sänger Frank Boehle erklären vorsichtig Begriffe wie „cool sein“, „Glaubwürdigkeit“ und repräsentative Songzeilen wie „tanz den Haß raus“. Haben aber nicht meist jene den Haß rausgetanzt, die in Jugendzentren auf eine allzu persönliche Weise mit sich selber beschäftigt waren? Sollte man beim Tanzen nicht weniger den Haß rauslassen als vielmehr etwas feiern? „Man muß unterscheiden zwischen dem Haß und der Aggression“, sagt Frank Boehle, „Haß ist, wenn du andere beim Pogo vor den Kopf trittst. Aggression, was jeder in sich trägt und auch in produktive Kräfte für sich umsetzen kann.“

Nach einigen sarkastischen Stücken, in denen Unrechtmachthaber „Geld“, „Yuppies“ und das zu „coole Arschloch“ angeklagt und das Nicht-wohl-aber-übel-Ausgeliefertsein an diese angesprochen wird, folgt auf ihrer Platte Groove Nation das Stück „Trieb“: „Denn keiner macht es halb so hart wie es nur der Trieb kann. Der Trieb bringt die Kraft, darum kommt es dir so hart vor. Immer wieder in die Fresse, darum nennen wir's Groovecore.“

Bei der Auslegung läßt sich erst noch das Bedürfnis zu nageln erkennen, die Sprache scheint aber eher die männlich projizierte Hoffnung zu dokumentieren, zum Fellatio bereite Männer oder Frauen zu treffen. Gilt das in den anderen Stücken dokumentierte Ausgeliefertsein auch hier, ist Texter Boehle dem Trieb ausgeliefert? Und ist das nicht ein bekanntes Bild dafür, wie jemand politisch angeblich keine Verantwortung übernehmen kann, weil der Trieb ihn daran hindert? Boehle: „Das würde ich so nicht sagen. Es ist zwar der Trieb, der mit uns umgeht, aber wir sind es auch, die mit dem Trieb umgehen.“ Walljasper ergänzt: „Wenn sich im Laufe des Konzerts die Bühne allmählich mit Leuten füllt, dann fallen Barrieren.“ Was passiert dann? „Einer hat sich während eines unserer letzten Auftritte ganz nah vor uns aufgestellt und gebrüllt ,Im September komme ich zu JEDEM eurer Konzerte'“, beschreibt es Boehle. Rock lebt. Kristof Schreuf So., 10.9., 21 Uhr, MarX (Support: Lowside)