■ Gastkommentar
: Lähme überm Land

Vier Regierungserklärungen habe ich in 15 Senatsjahren zwischen 1975 und 1990 als Chef eines großen Ressorts erlebt. Längst vor dem Ende der jeweiligen Legislaturperiode waren sie allesamt Makulatur. Mit dem Tag danach begann das Vergessen. Keiner wußte mehr, was Koschnick oder Wedemeier im Namen des Senats gesagt hatten.

Der Ampel ist es nicht anders ergangen. Die Anfangsschwüre galten bald nichts mehr. Helga Trüpel kann ein Lied davon singen – der hatten sie Kulturmillionen versprochen, die sie nie bekam. Die Spar-Garotte erdrosselte die Versprechen. In den letzten 20 Jahren sind alle Regierungsabsichten noch immer von der Haushaltsmisere nach unten korrigiert worden. Das galt für die Ausbauziele der Universität wie für die Lehrerversorgung, die Modernisierung des Gesundheitswesens und die Schaffung von Kindergartenplätzen.

Rot-Schwarz wird es nicht anders gehen. Schon jetzt zeichnet sich ab, daß die Finanzplanung besonders die SPD-geführten Ressorts beutelt. Immer neue Sparrunden werden jegliche Handlungsperspektive zerstören. Rudolf Hickel hat das dem Senat schriftlich gegeben. Auch diese Koalition wird improvisieren und Politik als Ad-hoc-Geschäft betreiben. Niemand bekommt Sicherheit, und der Rasenmäher sichelt wie eh und je über die ausgepowerten Ressorts.

In einem allerdings wird der neue Senat es leichter haben: Das Klientel ist in den jahrelangen Sparschlachten gleichgültig geworden. Ging man beispeilsweise einst für Hochschulen, Bibliotheken oder Theater auf die Straße und half so, Knochenschnitte abzuwenden, kann heute unbehelligt gespart werden. Kein Senator muß mehr durch Ortsvereine oder Beiratssitzungen hetzen, um Einsparungen zu verteidigen. Keine Fraktion korrigiert mehr unter dem Druck von Protesten Sparbeschlüsse des Senats. Lähme liegt über dem Land.

Nicht mehr die Politik, die Verwaltung besorgt das Geschäft. Wo doch noch Mini-Proteste hochschießen, kommt Nostalgie auf. Man muß sie umarmen, die rührend lieben Demonstranten. Wir kennen keine Parteien mehr, wir kennen nur noch Sparer. Wenn wundert's, Herr Nölle? Die Nicht-Wähler-Partei wird weiter wachsen.

Thomas Franke, Senator a. D.