Bremen im Kriechgang nach Bonn

■ Sanierung nicht zu schaffen / Vorbereitungen aufs Nachverhandeln laufen

Es war ein einigermaßen absurdes Theater, das sich gestern in der Bürgerschaft abspielte. Der „Jahresbericht zur Haushaltsentwicklung sollte beraten werden“, aber der Hauptredner, Finanzsenator Ulörich Nölle, vermied peinlichst, mit der wichtigsten Information zur Haushaltslage herauszurücken – die freilich die Spatzen schon lange von den Dächern pfeifen: Bremen wird trotz der Bonner Sanierungsmilliarden das Klassenziel Haushaltssanierung nicht erreichen. Bremen wird in Bonn nachverhandeln müssen. Und schon hat die Koalition im Finanzressort eigens eine Arbeitsgruppe aus JuristInnen und ÖkonomInnen gebildet. Der Auftrag: Vorbereitung der Verhandlungen über einen sanierungsnachschlag des Bundes, hilfsweise einer erneuten Klage vor dem Bundesverfassungsgericht.

Heute fährt Nölle mit Henning Scherf zum Plausch mit dem Kanzler nach Bonn. Was die beiden da mit Kohl bereden wollen, das hat der Finanzsenator zum Entsetzen seines Ressorts, seiner ParteifreundInnen und des Koalitionspartners am letzten Samstag schon den KollegInnen vom „Wesser Kurier“ erzählt: „Ich werde dem Kanzler über die realistische Situation berichten und deutlich machen, daß die ursprüngliche Einschätzung, Bremen sei mit zehn Milliarden zu sanieren, nicht mehr aufrechtzuerhalten ist.“ So drastisch wollte Nölle das gestern aber partout nicht wiederholen, und diese Erkenntnis sucht man auch im Bericht vergebens, den Bremen nach der Sanierungsvereinbarung Jahr für Jahr in Bonn vorlegen muß. Doch beruhigend ist der allemal auch nicht. Nach den vorliegenden Steuerschätzungen fallen im kommenden Jahr 130 Millionen Mark Einnahmen aus, im gesamten Sanierungszeitraum rund 500 Millionen. Fazit Nölle: „Das Sanierungsziel ist massiv gefährdet.“

In der Debatte entstanden dann plötzlich verquere Koalitionen. Während Wolfgang Schroers von der CDU wortreich „Altlasten“ aus der Ampelregierung für die Finanzmisere verantwortlich zu machen suchte – Kostenexplosionen bei der Finanzierung der Kindergärten und beim ÖPNV, “Dafür sind die Christdemokraten nicht verantwortlich!“ – redete sich Christian Weber von der SPD mit nicht ganz an die grüne Oppositionsseite, und er sparte nicht mit Häme gegenüber dem Koalitionspartner: „Herr Nölle, ich habe Ihr Interview gelesen. So schaffen wir die von Ihnen in Aussicht genommene Schuldentilgung von 600 Millionen nicht!“ So hoch hatte Nölle nämlich noch im Wahlkamf die Sanierungslatte gelegt. Und an der scheint er sich jetzt den Kopf zu stoßen beim Drunterdurchlaufen. Karoline Linnert von den Grünen: „Sie werden an diesen hochtrabenden Ansprüchen gemessen werden.“ Und jetzt schon von Nachverhandlungen zu reden, „das hätten wir uns mal erlauben sollen.“