Allen wohl und niemand wehe

■ ...außer den Beamten. Scherfs großkoalitionäre Regierungserklärung blieb im Ungefähren

Die Beschäftigten im bremischen Öffentlichen Dienst müssen sich warm anziehen – wenn man der ersten Regierungserklärung der Großen Koalition Glauben schenken darf, die der frischgebackene Senatspräsident Henning Scherf gestern in der Bürgerschaft gab. Scherf beschwor zwar die dramatische Haushaltsnotlage, doch wo die große Koalition denn die harten Finanzschnitte ansetzen will, darüber schwieg sich Scherf aus. Bis auf das Thema Reform des öffentlichen Dienstes. Mindestens 400 Stellen sollen pro Jahr ersatzlos wegfallen, wobei es allerdings nicht zu Entlassungen kommen soll, die Verwaltung soll gründlich umgekrempelt werden.

Ansonsten blieb die Regierungserklärung im Ungefähren stecken: Die BürgerInnen müssen zur Selbsthilfe animiert werden, nur mit mehr Kommunikation zwischen den verschiedenen Interessengruppen in der Stadt käme Bremen aus der Talsohle heraus – allen wohl und niemand wehe. Die sattsam bekannte Umarmungsstrategie. Das kam an. Naturgemäß bei den Koalitionsfraktionen – donnernder Applaus von SPD und CDU. Der CDU-Fraktionschef Ronald-Mike Neumeyer ganz begeistert: „Wer hätte ihm noch vor einem halben Jahr einen solchen Beitrag zugetraut.“

Offensichtlich vor allem nicht die CDU, denn die hatte dem Koalitionspartner die Regierungserklärung auf die Hälfte zusammengestrichen. Und ebenso offensichtlich war den großkoalitionären Abgeordneten der übiggebliebene Sparpunkt Öffentlicher Dienst eher unangenehm. Viel lieber hörten sie die Ausführungen zum Geldausgeben. Großer Beifall beim Punkt Investitionssonderprogramm. Dabei, beim Geldausgeben und bei den zumindest vagen Zusicherungen nach allen Seiten, daß kein Bereich untergehen werde, blieb es dann auch. Marketing und Werbung ausbauen, eine „Zukunftsinitiative Bremerhaven“, gleichermaßen Geld für den Straßenbau und den Ausbau des ÖPNV, ein Fonds „Stadtreparatur“, ambulante Hilfen für ältere Menschen stärken, Frauengruppen und –initiativen fördern, und bei der Polizei soll natürlich gar nicht gespart werden – und all das mit keinem Geld, dafür mit ganz viel Engagement.

Das war natürlich auch der Ansatzpunkt für die Kritik von den beiden Oppositionsfraktionen Grüne und AfB. „Diese Regierungserklärung ersetzt auf weite Strecken Politik durch Beschwörung“, kritisierte der Grünen-Fraktionssprecher Dieter Mützelburg. „Wer eine starke Regierung verspricht, darf sich keine schwachen Ausflüchte leisten.“ Fraktionskollege Ralf Fücks haute in dieselbe Kerbe. Scherf habe alle kniffeligen Fragen weiträumig umredet: Die Zukunft der Straßenbahnlinie 4 (von der CDU heftig bekämpft, von der SPD durchgesetzt), die Zukunft der Senatskommission für das Personalwesen (die Scherf hatte abschaffen wollen, Nölle auch, aber nur vor der Wahl), die Frage nach den Präferenzen im Investitionssonderprogramm, für das die Begehrlichkeiten doppelt so hoch sind, wie die Summe, die ausgegeben werden kann – zu alldem habe Scherf kein Wort gesagt. Fücks: Die Chance zum Klartext-Reden sei vertan.

Das fand auch die AfB. In seiner Jungfernrede für die „offene, junge Wählervereinigung“ konzentrierte sich Friedrich Rebers allerdings ausschließlich auf die Themen Wachstum, Wachstum und Wachstum. Und dabei genau auf die Forderungen, die die AfB schon im Wahlkampf nach vorne gestellt hatte: mehr Gewerbeflächen und die Erreichbarkeit der Innenstadt für den Autoverkehr. Die Koalition solle doch lieber die Linie 4 zugunsten des Hemelinger Tunnels fallenlassen.

Ein bissel konkreter als Scherf wurde nur der neue CDU-Fraktionschef Ronald-Mike Neumeyer, allerdings ziemlich abweichend vom Koalitionsvertrag. Frisch-fromm forderte Neumeyer die Abschaffung der Codierten Tonne und die Privatisierung des Krankenhauses St.-Jürgen-Straße, was die zuständige Supersenatorin Tine Wischer dazu veranlaßte, ziemlich sparsam zu gucken. Nach der Debatte beeilte sie sich, richtigzustellen: Privatisiert werden soll nur der OP-Bereich, und an die Abschaffung der Codierten Tonne sei nun gar nicht gedacht. J.G.