Kriegsverbrechen als Kavaliersdelikt

Israelische Soldaten haben ägyptische Kriegsgefangene ermordet. In Ägypten schlagen die Emotionen hoch, in Israel hält man die Enthüllungen für nicht bemerkenswert  ■ Von Karim El-Gawhary und Amos Wollin

Kairo/Tel Aviv (taz) – In Ägypten explodierte die Nachricht wie eine Bombe: Seit Ari Biro, ein israelischer Oberst im Ruhestand, vor einigen Wochen zugab, im Krieg 1956 gegen Ägypten an der Ermordung von 49 ägyptischen Kriegsgefangenen beteiligt gewesen zu sein, schlagen am Nil die Wellen der Empörung hoch.

Biros Geständnis war nur der Anfang von einer Reihe von Offenbarungen aus dem Munde israelischer Militärhistoriker und Militärs. Danach soll die israelische Armee auch im Sechs-Tage- Krieg 1967 Hunderte von unbewaffneten ägyptischen Kriegsgefangenen ermordet haben. Das schlimmste Massaker soll sich in der im im nördlichen Sinai gelegen Stadt al-Arisch ereignet haben. Eine israelische Eliteeinheit soll dort unter der Führung des heutigen Wohnungsbauministers Benjamin Ben Elizer 300 Kriegsgefangene umgebracht haben.

Mit den Bekenntnissen haben die ägyptisch-israelischen Beziehungen einen erneuten Tiefstand erreicht. Schon zu Beginn des Jahres war das Verhältnis zwischen beiden Ländern eher frostig. Damals weigerte sich Kairo den Atomwaffensperrvertrag zu unterschreiben, wenn die Nuklearmacht Israel nicht gleiches tut. Jetzt fordert die Regierung in Kairo eine sofortige und umfassende Untersuchung der Morde an ägyptischen Kriegsgefangenen und die Bestrafung der israelischen Täter.

Der stellvertretende israelische Außenminister Eli Dayan mochte dagegen bei einem Besuch in Kairo am Dienstag keine Zusage für eine Untersuchung der Vorwürfe geben. Nach seiner Darstellung sind die Verbrechen längst verjährt. Usama Baz, der Chefsekretär des ägyptischen Präsidenten Husni Mubarak, hielt ihm entgegen: „Internationales Recht legt den Schutz und die verantwortungsvolle Behandlung von Kriegsgefangenen fest. Derartige Verbrechen an Kriegsgefangenen fallen keinesfalls unter die Verjährungsfrist.“ Schließlich würde Israel auch keine Verjährung von Naziverbrechen akzeptieren. Dayan entgegnete, daß es sich bei der Vernichtung von Juden um ein Staatsverbrechen gehandelt habe. Die Ermordung ägyptischer Kriegsgefangener sei dagegen keine Regierungspolitik gewesen. Vielmehr handele es sich um Ausnahmen und Übeltaten einzelner Personen.

In der ägyptischen Presse erschienen in den letzten Wochen zahlreiche Berichte von ägyptischen Augenzeugen der damaligen Verbrechen. Etwa der Bericht des ägyptischen Soldaten Muhammad Umran von seinem Aufenthalt in einem israelischen Gefangenenlager in der Negev Wüste. Er sei, so Umran, mit anderen Gefangenen gezwungen worden, sich flach auf den Boden zu legen. Daraufhin sei ein Panzer über die Gefangenen gerollt und fünf Meter vor ihm zum Stehen gekommen. Andere Augenzeugen berichten von regelrechten Wettschießen auf die Gefangene oder davon, daß sie zehn Tage lang in Gefrierräume eingesperrt worden waren.

Mehrere ägyptische Anwälte forderten unterdessen Wiedergutmachungszahlungen an die Familien der Ermordeten. In einem Fall klagt eine Anwältin auf eine Milliarde US-Dollar Schadenersatz. Andere verlangen, die Fälle vor den Internationalen Gerichtshof in Den Haag zu bringen oder eine Beschwerde beim Internationalen Roten Kreuz einzureichen.

Im Verlauf der Auseinandersetzungen um die Morde geriet auch die ägyptische Regierung selbst unter Beschuß. „Es ist ein Skandal für Israel, aber es ist auch einer für den wir selbst verantwortlich sind“, schrieb der Chefkolumnist der ägyptischen Tageszeitung al- Ahram. In den Oppositionszeitungen behaupten damalige Augenzeugen, sie hätten den ägyptischen Behörden die Fälle seit langem vorgetragen, seien aber abgewiesen worden.

In der israelischen Öffentlichkeit herrscht die Meinung vor, daß in allen Kriegen Untaten stattfinden. Viele meinen, die Vorwürfe seien „unnötigerweise“ in die Medien gebracht worden. Viele Israelis wissen aus eigener Erfahrung oder vom Hörensagen von Handlungen israelischer Soldaten, die wahrscheinlich in die Kategorie von Kriegsverbrechen fallen.

Unter der jüngeren Generation in Israel wachsen aber angesichts der Berichte Zweifel an der Legende von der „Reinheit der Waffen“ – der Behauptung, daß sich israelische Soldaten nie etwas zuschulden kommen lassen.