Keine Stimme für die Realität

■ Dürfen Junkies in „Gesundheiträumen“ drücken? Bürgermeister Henning Scherf will sich bei der Entscheidung im Bundesrat der Stimme enthalten.

Drogenabhängige, die sich in aller Öffentlichkeit einen Schuß setzen, sind nirgends wohl gelitten. Noch massiver aber scheinen die Vorbehalte der Politik dagegen, daß dies in den Krisen- oder Beratungszentren passiert. Dort dürfen Spritzen verteilt werden, sauberes Wasser und Pflaster. Aber wer Drogeninjektionen in seinen Räumen toleriert, muß damit rechnen, wegen des Verdachts auf „Gelegenheitsverschaffung“ (§29 des Betäubungsmittelgesetzes) strafrechtlich verfolgt zu werden.

In Frankfurt und Hamburg gibt es „Gesundheitsräume“. Dabei handelt es sich nicht um ausgewiesene Druckräume, sondern um ein niedrigschwelliges Angebot, das neben einer intensiven Beratung Übernachtungs-, Verpflegungs-, und Waschmöglichkeiten vorhält. Sollte sich hier jedoch ein Junkie einen Schuß setzen, so wird er nicht hinausgeschmissen, sondern faktisch geduldet. Um diese Gesundheitsräume zu legalisieren, hat Hamburg eine Gesetzesinitiative im Bundesrat gestartet. Eine Änderung des BTMG soll das Betreiben solcher Räume für straffrei erklären. Ob die Initiative am 22.11. im Bundesrat Erfolg hat, hängt vom Verhalten der anderen Bundesländer ab. Da CDU/FDP-Regierungen eine eher ablehnende Haltung zeigen, kommt es auf die SPD-regierten Länder an. Wie Bremen reagiert, entscheidet der Senat erst eine Woche vor der Bundesratssitzung.

Geht es nach Bürgermeister Henning Scherf, wird sich Bremen der Stimme enthalten, meint Justiz-Pressesprecherin Ines Gerwien. Scherf fürchte, der Hamburger Vorstoß könne der Einrichtung von Druckräumen „Tür und Tor öffnen“. Diese Angst aber gehe an der Realität vorbei, hält Dr. Heino Stöver, Geschäftsführer des Vereins Kommunale Drogenpolitik, dagegen. Man könne gar nicht verhindern, daß sich Junkies, zumal in festen Wohneinrichtungen, zuweilen einen Schuß setzen. „Das ist ein offenes Geheimnis.“

Ein offener Umgang hingegen kann Folgen haben, mußte der Verein Kommunale Drogenpolitik erfahren, der bereits in den 90ern die damals noch verpönten niedrigschwelligen Einrichtungen propagierte und damit quasi zum Vorgänger Hamburgs wurde. Die Staatsanwaltschaft leitete Ermittlungsverfahren ein, nachdem der Verein 91/92 nicht nur offen zugegeben hatte, daß in zwei Einrichtungen gedrückt wurde, sondern diese Tatsache auch noch als „wichtigen Beitrag zur praktischen Überlebenshilfe“ der Süchtigen bezeichnet hatte. Daß die Verfahren eingestellt wurden, bedauert Stöver, „die Staatsanwaltschaft hat damals gekniffen“.

Den Vorwurf der „Gelegenheitsverschaffung“ findet er ohnehin absurd. „Wir profitieren doch nicht davon“, erklärt er. Es gehe vielmehr um Hilfeleistungen und teilweise lebensrettende Maßnahmen für die Junkies: In Hauseingängen und Nischen ziehen sie ihre Spritzen auf, teilweise mit Wasser aus Pfützen oder Klobecken. Die Injektion wird in aller Regel unter bereits einsetzenden Entzugsschmerzen vorgenommen. Die Streßsituation bringt es mit sich, daß Infektionsrisiken ignoriert, Spritzen gemeinsam und mehrfach benutzt werden. Neben der Übertragung von Infektionskrankheiten wie Aids und Hepatitis sieht Stöver „auch ein enorm hohes Mortalitätsrisiko“ gegeben, dem keinerlei Sofort-Hilfe gegenüberstehe.

Der Landesdrogen-Beauftragte Ingo Michels bestätigt den Eindruck von Heino Stöver. Die Zahl der Junkies, die sich draußen in Schmutz und Eile einen Schuß setzen, nehme ständig zu. Seinem Rat zufolge unterstützt das Gesundheitsressort die Bundesratsinitiative aus Hamburg. Sollte Bremen ein anderes Votum abgeben, unterstreicht Michels, so geschehe die gegen die Meinung des Fachressorts. Dora Hartmann