Lustige Teufelsaustreibung in der 2. Liga

Mit Gegenwartsdramen, Ost-Schauspielern, Hans Magnus Enzensberger als Berater und Lubitsch im Sinn versucht der neue Renaissance-Theater-Intendant Horst.-H. Filohn das Haus mit der teuren Sasse-Hypothek zu retten  ■ Von Petra Brändle

Bislang ruhte dieses Theater in einer der hinteren Ecken meines Bewußtseins. Ja, das Renaissance-Theater. Steht neben „Kiepert“ am Ernst- Reuter-Platz, zwischen Bäumen. Zuletzt Judith Malina dort gesehen, die Grande Dame des Living Theatres, geladen zu den „Berliner Lektionen“. Schlechte Luft, dunkle Räume, üppig versamtet, ein bißchen schäbig bereits. Ein Haus, dessen gute Tage etwas zurückliegen.

Und nun: Intendantenwechsel – ein frisches Lüftchen gar? Gerhard Klingenberg dankte ab. Der langjährige Geschäftsführer und Co- Intendant Horst-H. Filohn übernimmt das Haus. Kein Theatermacher, gewiß. Aber theatererfahren, Renaissance-erfahren. Seit 1977 ist er im Hause. 1987-92 war er künstlerischer Leiter des angegliederten Studios. Zur Genesung des Hauses plant er nun einen Balanceakt zwischen Komik und Grauen im Geiste von Lubitsch. Auf englisch hört sich das so an: „Catch the devil with humor.“ Kleiner geht's nicht. Und: Hans Magnus Enzensberger berät den Intendanten. Na, mal sehen.

„Sasse“ steht auf der Klingelleiste. Etwas verblaßt ist der Name bereits – ein Relikt aus längst vergangener Zeit? Ein Hinweis auf ein Haus, in dem die Dinge sind wie sie sind, weil sie schon immer so waren? Nein. An dem Namen läßt sich vielmehr ablesen, wie vorteilsreich Verträge am Theater abgeschlossen werden können, und wie das ein Theater lähmen kann.

Zwei Millionen Mark an Ex-Intendant Sasse

Zur Erläuterung ein Blick in die Vergangenheit. Von 1981 bis 1984 war Heribert Sasse Intendant des Renaissance-Theaters, und zwar, so Filohn, „sehr erfolgreich“. Dann jedoch wechselte Sasse in derselben Funktion ein paar Meter weiter an die Staatlichen Schauspielbühnen – nicht jedoch, ohne sich zuvor ein ominöses „Rückkehrrecht“ an das Renaissance-Theater garantieren zu lassen.

Als es dann nach einigen eher glanzlosen, wenngleich finanziell solide verlaufenen Spielzeiten in Schiller Theater, Schloßparktheater und Werkstatt im Sommer 1990 so weit war, daß Heribert Sasse zurücktrat, klagte er seinen Rückkehrvertrag ans Renaissancetheater ein. Der dort amtierende Gerhard Klingenberg jedoch hatte einen Bleibevertrag bis 1995. Im gerichtlichen Vergleich verzichtete Sasse auf die Intendanz, hielt sich aber durchaus schadlos: Bis ins Jahr 2000 wurde ihm jährlich eine Inszenierung und eine Rolle am Renaissance-Theater zugesichert.

Aber da Intendant Klingenberg eine Zusammenarbeit mit Sasse ablehnte, erhielt dieser sein monatliches Gehalt in Höhe von 12.500 Mark bis zu diesem Jahr eben sozusagen für frühere Verdienste. Ach ja: Auch eine einmalige Abfindung von 100.000 Mark wurde bezahlt. Jetzt, unter der Leitung von Horst-H. Filohn, wird Heribert Sasse im Renaissance- Theater allerdings wieder inszenieren.

Auf rund zwei Millionen Mark belaufen sich die Kosten, die die vierjährige Intendantenzeit Sasses nach sich zieht – künstlerische Argumente gibt es keine. Zwei Millionen Mark. Das ist in etwa die Summe, die Sasse jährlich vom Senat für das mittlerweile von ihm selbst privat betriebene Schloßparktheater erhält.

Zwei Millionen Mark. Das ist keine geringe Belastung für das private Renaissance-Theater mit einer Senatssubvention von knapp 6 Millionen jährlich. Vor allem in Anbetracht der bislang dort geltenden Praxis, für leichtere Stücke oder auch mal moderne Klassiker publikumsträchtige „Fernsehgesichter“ wie Michael Degen oder Judy Winter mit Höchstgagen ans Haus zu locken.

Jetzt ist Schluß mit dem Fernsehstar-Theater

Doch die Zugpferde schafften es nicht, das Haus nachhaltig vor Publikumsschwund zu bewahren. Spätestens mit der Wende wurde deutlich, daß das Theater kein überzeugendes künstlerisches Profil hat, und mit dem Theaterstil waren auch die Zuschauer des Renaissance-Theaters immer älter geworden. Gut 60 Jahre alt war der Durchschnittsbesucher zuletzt. Anfang 1995 betrug die Auslastung nur noch rund 30 Prozent.

Schluß damit. Filohn will das Fernsehstar-Theater begraben. Engagiert wird, nach einem Blick in die Kasse, streng nach künstlerischer Arbeit. Und ein bißchen nach Ost- und West-Herkunft. Schließlich braucht das Renaissance-Theater mehr Publikum – auch aus dem Osten. Und vor allem ein jüngeres, denn: „Bei den 60jährigen muß man immer so schreien auf der Bühne.“

Mit einem Augenzwinkern serviert der neue Intendant solche kleinen Seitenhiebe. Wohl weiß er, daß sein Theater höchst bieder war. „Anständig“, nennt er es. Daß es weiterhin in „so was wie der zweiten Bundesliga“ spiele. Daß Experimente und ein „schriller Zeitgeist“ hier auch zukünftig keinen Platz haben. Wozu auch. Dafür gibt es andere Theater. Die Bühnensprache werde „konventionell“ bleiben, die Vorlagen für die Inszenierungen aber werden in der Gegenwart gesucht.

Aufgeführt werden künftig nur Stücke von lebenden Autoren – ganz bewußt auf die Gefahr hin, daß sich ein Text über die Jahre als „Wegwerfartikel“ erweisen könnte. Konzeptionell stellt Filohn politische „Dauerbrenner“ in den Mittelpunkt: Die Inszenierungen sollen Themen wie Faschismus, Rassismus oder Fremdenfeindlichkeit behandeln, Bürgerkrieg oder das Verhältnis zwischen Industrie- und sogenannten Entwicklungsländern.

Hans Magnus Enzensberger berät in solchen Dingen übrigens bereits seit 1993. Er verweise auf Debatten in der Literatur und Kunst und decke die Zusammenhänge auf, sagt Filohn. Zusätzlich wird Enzensberger aber auch inszenieren: Eine eigene „Fälschung“ nach Diderots Roman „Rameaus Neffe“ ist angekündigt.

Das alles klingt sympathisch, wenngleich nach intellektuell schwerer Kost. Doch da ist auch noch der große Lubitsch. Und so lautet das Motto: Aber bitte mit Witz. Schließlich sei das „Aufklärungstheater tot, weil wir heute wirklich alles wissen“. Dem Publikum könne man „nicht moralisch oder schwerfällig kommen“.

Zum Auftakt Lubitsch – seltsam hölzern

Deshalb hat man sich zum Auftakt an Lubitschs Meisterwerk „Sein oder Nichtsein“ gemacht. Als „Noch ist Polen nicht verloren“ in der Textfassung von Jürgen Hofmann kam das „Stück zum Film“ (auch eine geplante Reihe) auf die Bühne. Wenn man dem Publikum glauben darf: Erfolgreich. Bei der Premiere wurde gelacht, gekreischt und geklatscht.

Günther Junghans als Posener Provinzschauspieler und leidenschaftlicher Hamlet hatte ein Heimspiel, genauso Susanne Tremper als dessen Gattin und Ensemblestar. Glücklich strahlte die Regisseurin Ulrike Jackwerth beim Schlußapplaus. Just bei ihrem Anblick schlug die Langeweile, die mich während der Aufführung überkam, in Verblüffung um. Kann es sein, daß sich diese 37jährige und überaus jung wirkende Wienerin einer solch abgedroschenen, ja hölzernen Bühnensprache bedient? Die Schauspielerposen der Posener werden dreimal überagiert, der berühmte Satz vom Sein oder Nichtsein kommt als Klischee seiner selbst. Groß sind die Gesten, fast jeder Lacher kündigt sich mit Pauken und Trompeten an.

Der Versuch, den gesamten Theaterraum zu bespielen, entschädigt kaum – schließlich ist auch das ein alter Hut, selbst wenn eine im Teppich eingerollte „Leiche“ einigermaßen umständlich und komisch den Rang hinaufbugsiert wird. In diesem oberflächlichen Geränke gehen schließlich auch die beklemmend und dicht gestalteten Szenen ein: Der Fliegerangriff mit Bombenpfeifen, Explosionsgeräuschen und Suchlichtern während einer Umbauszene.

Allein Boris Aljinovic als „Hitler“-Schauspieler wider Willen weckt Hoffnung. Frisch von der Schauspielschule weg wurde er engagiert – ein Volltreffer. Leise sitzen seine Pointen und mit einer kleinen Verzögerung, so auch die Schlußpointe: Auf ein „Heil Hitler“ kontert er mit „Ich heile mich selbst“. Ob die Selbstheilungsmethode schließlich auch beim Renaissance-Theater anschlägt?

„Noch ist Polen nicht verloren“ von Jürgen Hofmann, zunächst bis 17. 9, 20 Uhr, Renaissance-Theater, Hardenbergstraße 6