Die Grünen als Korrektiv

■ SPD und CDU/CSU stützen Bertelsmann und Kirch - die Grünen müßten sich dagegen um die Zugangsrechte für jeden einzelnen zu den digitalen Medien kümmern, meint Prof. Hans J. Kleinsteuber

taz: Was haben die Grünen in der Medienpolitik verschlafen?

Hans J. Kleinsteuber: Alles. Die Grünen sind Anfang der achtziger Jahre mit ihrer Position gegen die Verkabelung gescheitert und danach kaum noch in Erscheinung getreten.

Worum sollten sie sich kümmern, um aus der medienpolitischen Versenkung aufzutauchen?

Erstens um das hohe Maß an Medienkonzentration, das sich in den letzten Jahren ergeben hat. Dann um die Zukunft des dualen Systems, die Frage, wie es mit den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten weitergeht. Drittes Aktionsfeld sind natürlich Multimedia und der Information Highway. Man muß sich klarmachen, was an neuen Entwicklungen ansteht, was ihre ökonomischen, politischen, kulturellen Konsequenzen sind und wie man adäquat darauf reagieren kann. Hier kommt ein beachtliches Bedrohungspotential auf uns zu.

Inwiefern?

Mit der Programmvervielfachung im digitalen Fernsehen führen wir gerade eine technische Struktur ein, die im Prinzip nur den größten Medienkonzernen in die Hände spielt. Das ist eine Technik, die keinerlei echte Interaktivität ermöglicht. Das Konzept des Information Highway, das aus USA gekommen ist, ist dagegen von der Logik her etwas Interaktives: Es gibt schließlich keine Autobahn, die nur Einbahnstraße ist. Wieder einmal, wie Anfang der achtziger Jahre bei der Verkabelung, bekommen wir in Deutschland von einer interessierten Industrie technologiepolitische Weichen gestellt, die ins Abseits führen und das Potential der digitalen Möglichkeiten nur sehr begrenzt ausloten.

Ab dem nächsten Jahr soll das digitale Fernsehen Hunderte neuer Fernsehkanäle ermöglichen. Öffnet das die Medien im Sinne grüner Vorstellungen?

Nein. Nach dem momentanen Stand wird das vollständig von den großen Medienkonzernen kontrolliert werden. Dazu kommt, daß das digitale Fernsehen, wie es in Europa geplant wird, über Satellit läuft [auch wenn die Programme anschließend in Kabelnetze eingespeist werden; d.Red.] – anders als in den USA. Das heißt: Örtliche Versorgung ist hier nicht möglich, weil die Satellitentechnik per definitionem global ist. Für kleine, nichtkommerzielle Initiativen, die gar nicht an großflächiger Versorgung interessiert sind, bietet das keinerlei Chance. Die können nie einen Transponder auf dem Satelliten bezahlen. Diese Prozesse können ganz sicher nicht im Interesse der Mehrzahl der Bürger sein. Hier zeigt sich auch, wie notwendig es ist, daß wir ein Korrektiv in der Medienpolitik bekommen.

Grüne fordern das Recht auf informationelle Grundversorgung. Was würde ein solches Recht, wenn es denn festgeschrieben würde, bringen?

Wenn damit gemeint ist, daß in den neuen Kommunikationstechniken Zugangsrechte für jeden einzelnen gesichert werden müssen, finde ich das gut. Durch öffentliche Leistungen müßten auch diejenigen, die zum Beispiel neue Medien nicht bezahlen können, mit einbezogen werden. So sollte grüne Politik auftreten.

Wie könnte das denn konkret aussehen?

Ich glaube, daß unser Denken so superkommerzialisiert ist, daß man sich nichtkommerzielle Teillösungen gar nicht mehr vorstellen kann. Der Bremer Professor Herbert Kubicek, von dem das Konzept der informationellen Grundversorgung kommt, hat ja dabei Modelle aus den USA vor Augen. Er betont zu Recht, daß amerikanische Online-Anbieter entweder von sich aus in erheblichem Umfange nichtkommerzielle Leistungen erbringen oder aber dazu gezwungen werden, wenn sie staatliche Unterstützung bekommen wollen. Unsere großen Medienanbieter arbeiten heute viel ungenierter kommerziell, als das selbst ihre amerikanischen Vorbilder machen.

1984 analysierten die Grünen: „Der verkabelte Bürger geht eine nicht kündbare Verbindung mit einem Zentralcomputer ein, der ihn unbarmherzig beobachtet, registriert und überwacht, seine Bewegungsabläufe festhält, Profile erstellt und ihn letztendlich von einem Individuum zu einer Nummer degradiert.“ Gut zehn Jahre später erscheint das, schaut man sich die Folgen von Verkabelung und Privatfernsehen an, völlig überzogen. Könnte es sein, daß diese Vision im Zeitalter der globalen Netzwerke wieder realistisch wird?

Ganz abwegig war diese Horrorvision auch 1984 nicht, schließlich war damals ja interaktives Fernsehen geplant. Sicherlich sind in den neuen interaktiven Netzen Überwachungsmöglichkeiten in ganz anderem Umfang möglich. Ich sehe das aber nicht wirklich als großes Problem, weil die Nutzer heute auch spezifische Möglichkeiten haben, sich gegen leichtfertiges Abschöpfen von Daten zu wehren. Die gab es vor zehn Jahren nicht. Man kann heute über Computernetze in Formen kommunizieren, die kein Dritter einsehen kann. Auch nicht der beste Geheimdienst der Welt.

Allerdings bedaure ich sehr, daß die Medienkonzerne die neuen Technologien aufbauen können, ohne daß ihnen jemand über die Schulter schaut. Die werden sicher das Interesse haben, konkrete Nutzerprofile zu bekommen, um sie dann wieder zu kommerzialisieren. Man kann in diesen Netzen auch den einzelnen nackt darstellen und ihn beliebig mit Werbung bombardieren. Das ist beides möglich. Man muß sehr genau sehen, wie diese Technik umgesetzt wird, so daß der gläserne Bürger eben nicht zur Realität wird.

Paßt das Internet zum grünen Weltbild?

Mehr, als manche sich vorstellen. Die Logik, die darin technisch abgebildet wird, ist eine grüne Logik. Insofern nämlich, als es in diesem Netz keine Zentren und keine Hierarchien gibt, es ist irgendwo tief drin auch anarchisch. Das unterscheidet ja auch das Internet total von herkömmlichen Netzen, seien es nun Telefon- oder Kabelnetze. Ich glaube, daß das Internet im Moment eine der großen zukunftsweisenden Visionen ist. Von daher wird es natürlich von vielen Seiten her angeknabbert, man versucht es zu kommerzialisieren. Aber das Internet ist dagegen ziemlich resistent.

Thema Konzentrationskontrolle im privaten Rundfunk. Was sollten die Grünen auf diesem Feld anstreben?

Es gibt Modelle zur Konzentrationskontrolle, zum Beispiel im Rundfunkstaatsvertrag von 1991, die werden schlicht nicht umgesetzt. Die Gründung von „Senderfamilien“ durch Kirch und Bertelsmann, wie wir sie heute haben, ist nach diesem Vertrag nicht zulässig. [Nach Paragraph 21.1 darf jeder Veranstalter nur ein bundesweites Vollprogramm oder informationsorientiertes Spartenprogramm haben; d.Red.] Ich würde mir außerdem wünschen, daß man sogeannte Cross-Ownership-Regelungen einführt: Im Printbereich marktbeherrschende Unternehmen dürfen nicht auch noch im Fernsehbereich die Märkte kontrollieren. Ganz klare Grenzen müssen bei den Gesellschafterverhältnissen gezogen werden: Ein Konzern darf nicht mehr als einen Sender kontrollieren.

Scheut sich nicht auch die SPD, hier zu handeln, weil sie mit Bertelsmann einen Konzernpartner hat? Ist es an den Grünen, die Initiative zu ergreifen?

Haargenau. Die Konkurrenz von SPD und CDU/CSU wird im Medienbereich heute von den zwei großen Senderfamilien Kirch und Bertelsmann abgebildet. Die beiden führenden Parteien haben dort, wo sie Einfluß nehmen konnten, nämlich in NRW und Bayern, ihre Interessen durchgesetzt. Genauso, wie die zwei Senderfamilien ein Produkt einer bestimmten parteipolitischen Formation sind, meine ich, daß das aus der Politik heraus auch wieder geändert werden kann.

Halten Sie eine zentrale bundesweite Zulassungsbehörde mit kartellrechtlichen Befugnissen für sinnvoll?

Absolut. Das müßte eine Gemeinschaftseinrichtung der jetzigen Landesmedienanstalten auf Bundesebene sein, die dann die Zulassungen ausspricht. Im Prinzip reicht ja heute auch schon die Bundesebene nicht mehr, denn viele Anbieter operieren europaweit. Man müßte also dasselbe noch einmal auf europäischer Ebene etablieren. Interview: Susanne Lob