Zwischen den Rillen
: Feinsinnige Frequenzänderungen

■ Techno wird kleiner und subtiler – selbst wenn er sich „Porno“ nennt

Techno und Porno verbindet nicht nur der phonetische Zufall. Es gibt weitere Ähnlichkeiten: Das Bild menschlichen Zusammenseins ist im Porno auf das Zeigen des Geschlechtsverkehrs gerichtet; Porno idealisiert gewissermaßen das Zusammensein im Bild eines immer und überall Genuß und Befriedigung bringenden sozialen Kontakts ohne weitere Komplikationen. Techno ist körperliche Befreiung, wie sie der Popmusik generell als Möglichkeit innewohnt; Techno ist insofern Realisierung des Hüftschwungs, den Elvis Presley vor vierzig Jahren als Ideal in jugendliche Köpfe setzte. Porno wie Techno wird vorgeworfen, ihre Ziele mit Mitteln zu erreichen, die „kalt“, „technisch“ – und damit eigentlich „unmenschlich“ sind.

Solche Kritik übersieht das Kritische ihres Gegenstands. Genauso wie Porno das im öffentlichen Diskurs der Liebe und in öffentlichen Bildern von Liebenden Verschwiegene, Angedeutete oder Aufgeschobene in den Mittelpunkt seines Interesses stellt, setzt Techno das mit Pop Versprochene ad hoc in die Realität um – und entlarvt Pop damit als Sarg der mit ihm stets verbundenen Utopie, die Welt könne durch die Ermöglichung neuer Körpergefühle irgendwie schöner oder besser werden.

Durch solch assoziative Ausdeutung des Titels vorbereitet, ist die CD „Porno“ zunächst eine Enttäuschung. Die Macher verschieben die Auseinandersetzung um Porno/Techno auf die Trash-Ebene, erzählen im Booklet die Erfolgsgeschichte von Patrick, der, gerade aus dem Gefängnis entlassen, zum Puffbesitzer wird.

Die Musik von Patrick Pulsinger zeigt dagegen Bewußtsein hohen Grades für die Möglichkeiten, die Techno heute bietet. Das muß bei dem Wiener Produzenten, der unter anderem auch an dem Projekt Northstar beteiligt und zudem im boomenden Genre Electro-Jazz zu Hause ist, nicht verwundern. Mit einigen – und offensichtlich anderen als den im Booklet angedeuteten – Wassern ist der Mann gewaschen, einfach drauflos wird hier nicht an den Reglern gedreht.

Die Titel der ersten drei Stücke, „Risk“, „Hesitate“ und „Care“, geben diesem Sachverhalt eine fast programmatische Stütze: Das Riskieren ist wörtlich genommen – von einem Zögern begleitet, das ein Kümmern um die Folgen einschließt.

In den Anfangssekunden der CD wird dieses Ethos hörbar, wenn der Beat noch hakt und von einem perkussiven Element überlagert ist beziehungsweise angestoßen wird, bevor die Baßdrum in neuer, kräftigerer Modulation das Stück dann weiterträgt. „Porno“ ist eine grundlegende Knarzigkeit und Eintönigkeit eigen, wie sie auch im Minimal Techno von Richie Hawtin oder Robert Hood gepflegt wird. Die Reduktion auf wenige und nie übergreifende Sounds macht die kleinen Veränderungen im sich scheinbar nicht Verändernden erst fühlbar.

Das Gefühl trägt auch das Projekt Sensorama im Namen. Und schon das erste Stück, „Harz“, macht dem Namen Ehre. Denn ohne ausgeprägtes Sensorium wird man die feinsinnigen Frequenzänderungen der Baßdrum nicht wahrnehmen – und damit auch nicht die Herstellung des diesem Stück zugrunde liegenden Zögerns und Ziehens, durch die es zu seinem Titel kam.

Der Feinsinn ist auf dieser Platte ganz auf die Konstruktion von Genauigkeit gerichtet. Die scheinbare Gegensätzlichkeit, die darin liegt, ist für Roman Flügel und Jörn Wuttke das Programm von Sensorama: Sie bewegen sich zwischen Polen, deren Kraftfeldern sie sich überlassen. Die perlende Melodie in ihrem Stück „Zone 30“ wird nie sich selbst überlassen, sondern gewinnt ihre Schönheit erst aus dem Gegensatz zum festen rhythmischen Muster, auf dem sie liegt. Auch der Titel ihrer CD spielt mit Sprachunterschieden: „Welcome Insel“ ist – neben allen wörtlichen oder metaphorischen Deutungen – auch der Name einer Raststättenkette.

Die strikten Electro-Sounds verweisen zwar auf Technohistorie (Kraftwerk, Detroit '87, Larry Heard), werden aber auch mit Sounds aus ganz anderen Welten gespeist, etwa denen von Blumfeld oder Yo La Tengo. Die Fähigkeit, zwischen diesen Welten zu wandern, haben sich die beiden Darmstädter Produzenten hinter Sensorama sicher auch durch ihre Arbeit mit anderen Projekten erworben: Acid Jesus, Alter Ego, Roman IV, um nur einige zu nennen. Ein Status, für den es keine bessere Beschreibung gibt als einige Verse von John Ashbury: „Daß zwei Menschen in diesem / Zwielicht kollidieren können, bedeutet, daß die Zeit des / Formlos Herumstöberns aufgegangen ist: der Raum war / Großartig und Trocken.“ Martin Pesch

Patrick Pulsinger: „Porno“ (Disko B / Efa)

Sensorama: „Welcome Insel“ (Ladomat / Rough Trade)