„Die Beziehungen zwischen den Menschen sind zerstört“

■ Mary Metcalfe (ANC), Bildungsministerin in Südafrikas zentraler Provinz Gauteng, über den Aufbau eines neuen Schulsystems

taz: Frau Metcalfe, Sie stehen vor der Aufgabe, aus den Relikten der Apartheid-Zeit ein neues Bildungsministerium auf Provinzebene aufzubauen. Wie machen Sie das?

Mary Metcalfe: Die meisten Menschen machen sich gar keine richtige Vorstellung davon, wie schwierig das ist. Dieses Ministerium zu rekonstruieren ist ein Alptraum. Früher gab es 19 verschiedene Bildungsministerien in Südafrika, die alle in verschiedenen Gebieten lagen, und jede Provinz hat Teile davon geerbt. Es ist uns nun immerhin gelungen, die Führungspositionen neu zu besetzen, aber darunter gibt es nichts. Das heißt, es laufen jetzt neue Leute herum und organisieren, aber richtig ein Ministerium leiten tun sie nicht.

Die Regierung Mandela ist jetzt aber schon weit über ein Jahr im Amt.

Zwei Monate nach der Wahl, im Juni 1994, wurden spezielle Stäbe in allen Ministerien gebildet, um sie umzustrukturieren, aber die Bildungspolitik ist besonders schwierig. Eine Person in unserem Stab war zuständig für die Struktur der neuen Behörde, und ein genauer Plan lag dann erst dieses Jahr im Januar vor. Jetzt müssen all die Stellen besetzt werden, und das dauert ewig. Es ist aber sehr wichtig, denn im Moment haben wir das Problem, daß viele Schulen nur sehr wenig Vertrauen haben in die Behörde, und das kann sich nur ändern, wenn da neue Leute sitzen.

Was machen Sie mit den Leuten aus der Apartheid-Zeit? Im öffentlichen Dienst gilt eine Beschäftigungsgarantie für fünf Jahre.

Wir haben in allen Bezirken gemischtrassige Koordinierungseinheiten gebildet, und die werden derzeit von Beamten der alten Ministerien geleitet. Sie tun zum Teil gute Arbeit, aber sie haben nicht die gleiche Autorität wie die neuen ständigen Bezirksdirektoren.

Jenseits der eher verwaltungstechnischen Schwierigkeiten, was ist für Sie das größte Problem in diesem ganzen Übergangsprozeß?

Ein Problem, mit dem wir uns konfrontiert sehen, sind die enormen Erwartungen der Bevölkerung.

Sie denken, jetzt gibt es eine neue Regierung, und da muß alles besser werden, und jeder will am liebsten mit mir persönlich über seine Probleme sprechen.

Ein großes Problem ist auch die finanzielle Ausstattung. Auf dem Papier sind wir in Gauteng gut ausgestattet mit Lehrern und Schulen. Aber das ist nur die Theorie, in Wirklichkeit sind die Mittel sehr ungleich und zum großen Teil sehr ineffektiv verteilt.

In den neuen Wohnungsbaugebieten, die die Regierung im Rahmen ihres „Programms für Wiederaufbau und Entwicklung“ (RDP) errichtet, gibt es zum Beispiel keine Schulgebäude. Außerdem haben wir die Schwierigkeit, daß es krasse Unterschiede zwischen weißen und schwarzen Schulen gibt.

Ein anderes Problem, das nicht gleich auf den ersten Blick offensichtlich ist, sind die zerstörten Beziehungen zwischen den Menschen – auch zwischen Lehrern und Schülern. Viele Schwarze müssen erst einmal wieder davon überzeugt werden, daß es wichtig ist, in die Schule zu gehen. Außerdem gibt es auch innerhalb der Lehrerschaft enorme Spannungen. In der Vergangenheit gab es verschiedene Lehrerorganisationen, die sich unterschiedlich gegenüber dem Apartheid-System verhielten. Einige waren angepaßter – und sie bekamen die besseren Stellen. Die, die kritischer waren, mußten sich mit den schlechteren Stellen begnügen und sind heute oft nicht in der Lage, einfachste Probleme zu lösen.

Wie verfahren Sie mit Lehrern, die aus dem alten System kommen und ihm vielleicht sogar nachtrauern?

Wir hatten eine sehr schwierige Phase im vergangenen Jahr, wo viele Menschen verlangten, daß solche Lehrer und auch Direktoren hinausgeworfen werden oder sie gar selber hinauswerfen wollten. Aber wir haben auch da Fortschritte gemacht. Für mich ist das Wichtigste, daß wir erst einmal Vertrauen schaffen unter den Menschen, daß sie dem politischen Prozeß in diesem Land vertrauen. Wenn das nicht gelingt, dann wird der ganze Prozeß scheitern.

Woher nehmen Sie die Zuversicht, daß dieser Prozeß gelingen kann? Beispielsweise gab es in Soweto einen Streik von mehr als 30 Schulen, in dem sich Ihre eigene Klientel gegen Sie stellte.

Es ist manchmal schwer, daran zu glauben, das gebe ich zu. Soweto war eine heikle Situation. Und für viele ANC-Mitglieder an der Basis ist es ein Dilemma, daß jetzt einerseits ihre eigenen Leute in der Regierung sitzen, diese aber andererseits mitunter Positionen vertreten, die ihren Forderungen zuwiderlaufen.

Das ist aber doch nur ein normaler Prozeß in einer Gesellschaft, die für sich in Anspruch nimmt, demokratisch zu sein.

Ja, aber darin sind wir in Südafrika nicht sehr geübt. Das alles braucht sehr viel Zeit. Aber wir machen auch Fortschritte. Zum Beispiel bekommen wir jetzt viele Zuschriften von Schülern, die uns ihre Probleme schildern, und das ist auch ein Vertrauensbeweis. Ob wir deren Probleme dann wirklich lösen können, ist allerdings eine andere Frage. Interview: Kordula Doerfler