Anti-Personen-Minen sind weltweit geächtet. Die Bundeswehr brüstet sich, diese "schmutzigen Minen" aus ihrem Arsenal genommen zu haben und nicht mehr weiterzuentwickeln. Wovon sie öffentlich weniger gerne redet: Sie setzt auf die Produktion

Woche für Woche werden weltweit allein 150–200 Zivilisten durch Landminen getötet oder verstümmelt. Landminen gehören zu den sogenannten unterschiedslos wirkenden Waffen. Ihr Einsatz gegen die Zivilbevölkerung ist durch das humanitäre Völkerrecht untersagt.“

Diese Sätze finden sich in einer Entschließung des Deutschen Bundestages, die dieser unmittelbar vor der Sommerpause mit den Stimmen der Koalition und der SPD verabschiedet hat. Anlaß für die Stellungnahme des Bundestages ist eine UNO-Konferenz, die im September in Wien stattfinden wird und die Überprüfung des sogenannten VN-Waffenübereinkommens zum Ziel hat, das im Oktober 1980 in Genf gezeichnet wurde und im Dezember 1983 in Kraft trat.

Dieses Waffenübereinkommen ächtet „bestimmte konventionelle Waffen, die übermäßige Leiden verursachen oder unterschiedslos wirken können“ – gemeint sind unter anderem Landminen. Landminen töten unterschiedslos Soldaten oder Zivilisten und sie bleiben als Bedrohung über Jahrzehnte präsent. Auch wenn der Krieg schon lange vorbei ist, ein Waffenstillstand längst abgeschlossen, eine politische Regelung gefunden ist – die Minen, einmal verlegt, bleiben meist liegen, verseuchen ganze Landstriche und fordern Tag für Tag ihre Opfer. Dazu kommt, daß Minen in aller Regel billig sind, teuer dagegen wird es, wenn sie wieder geräumt werden sollen. Deshalb hat sich eine breite Bewegung für das völlige Verbot der Produktion von Landminen entwickelt, an deren Spitze sich UN- Generalsekretär Butros Butros Ghali engagiert. In einem Beitrag für die US-amerikanische Zeitschrift Foreign Affairs im Oktober 1994 prognostiziert er ein völliges Verbot, wenn auch erst nach langen Auseinandersetzungen.

Soweit ist die Mehrheit im deutschen Parlament noch nicht. Schließlich müßte man dann vor der eigenen Haustür anfangen und als erstes die Minen der Bundeswehr ins Visier nehmen. Friedberg Pflüger, CDU-Reformer und im Bundestag Berichterstatter seiner Fraktion zur Minenproblematik, nennt die Forderung nach einem generellen Verbot von Landminen deshalb zwar sympathisch, „letztlich aber weder realistisch noch sinnvoll“. „Warum“, so Pflüger, „soll sich ein kleines Land nicht mit Panzerabwehrminen gegen ein großes Land schützen dürfen, das dieses kleine Land mit Panzern bedroht?“ Auch ein Stopp der Forschung und Entwicklung bei der Minentechnik sei nicht sinnvoll, denn „wenn Panzerminen besser werden, wenn sie per Knopfdruck an- und ausgeschaltet werden können, wenn sie über einen Mechanismus zur Selbstzerstörung verfügen, ist das nach meinem Gefühl ein Fortschritt gegenüber der bisherigen Situation“.

Tatsächlich sehen Bundeswehr und Bundesregierung sich in der Auseinandersetzung um die Ächtung von Minen im Vorfeld der UN-Konferenz international auf der sicheren Seite. Die Bundestagsentschließung realisiert exakt die Wünsche der Bundeswehr und kann sich dennoch radikal humanitär gerieren. So fordert der Bundestag ein weltweites Entwicklungs-, Produktions-, Export und Einsatzverbot von fernverlegten Minen ohne Selbstzerstörungsmechanismus und darüber hinaus den Einsatz der Bundesregierung, um mittelfristig ein weltweites Verbot von Anti-Personen-Minen und Sprengfallen durchzusetzen zu helfen.

Von den sogenannten schmutzigen Minen – Anti-Personen-Minen, die, einmal verlegt, Jahrzehnte darauf warten, daß ein Kind sie berührt und ihm dann die Beine weggerissen werden –, hatte die Bundeswehr mehrere Millionen in ihrem Arsenal, 1994 hat sie sie ausgesondert. Die Landminen, die die Bundeswehr aus den Beständen der Nationalen Volksarmee übernommen hat, sind nach offiziellen Angaben zum großen Teil vernichtet worden – Berichte, nach denen viele dieser Minen im ehemaligen Jugoslawien aufgetaucht sind, werden dementiert –, der Rest soll bis Ende dieses Jahres vernichtet werden. Trotzdem verfügt die Bundeswehr weiterhin über Anti-Personen-Minen, die hauptsächlich bei den zukünftigen Krisenreaktionskräften zum Einsatz kommen sollen. Von der NVA übernommen hat die Bundeswehr etliche tausend Stück einer Anti-Personen- Mine aus russischer Produktion. Sie haben entgegen den Forderungen des Bundestages keinen Selbstzerstörungsmechanismus, sollen aber dennoch für Zivilisten ungefährlich sein, weil sie nicht fernverlegt werden und nur über Kabel und per Hand, also angesichts des konkreten Gegners, gezündet werden. Ob die Bundeswehr für diese Minen noch andere Zündmechanismen besitzt, ist bislang nicht bekannt. Die NVA-Anti-Personen-Mine ist trotz der Vernichtung von über einer Million alter Minen aber auch noch nicht das letzte Aufgebot der Bundeswehr an Anti-Personen-Minen. Mit der Schützenabwehrmine DM-31 hat die Bundeswehr einen weiteren Killer hunderttausendfach auf Lager. Auch damit will die Hardthöhe ihre Krisenreaktionskräfte ausrüsten. Die Mine, etwa so groß wie eine Cola-Dose, wird durch einen Zugzünder ausgelöst, springt dann 1,20 Meter in die Höhe und zerfetzt durch Splitter und Detonationsdruck den Unterleib des Unglücklichen, der den Stolperdraht berührt hat. Als Begründung für die Beibehaltung dieser Minen geben Militärs an, man brauche sie, um eigene Stellungen, beispielsweise in einem Buschkrieg, wie er in Somalia vorstellbar gewesen wäre, vor Überfällen zu schützen. Die Mine kommt deshalb mit den Forderungen des Bundestages nicht ins Gehege, weil sie ebenfalls nur per Hand verlegt werden kann.

Trotz dieser „terroristischen Waffen“ (Volker Kröning, SPD) wird die Bundesregierung sich in Wien als eine der problembewußtesten Regierungen weltweit präsentieren können. Die Entwicklung einer neuen Generation von Anti-Personen-Minen, die in deutschen Waffenschmieden – wie zum Beispiel bei Honeywell Regeltechnik in Maintal – im Auftrag der Bundeswehr bereits in Gange war, wurde gestoppt, zumindest aber auf Eis gelegt. Im Haushalt 95, und auch in der Planung für 96 und 97 sind keine Mittel für diese Minen mehr vorgesehen. Daß sie bei Bedarf in kürzester Frist doch produziert werden könnten – die Entwicklung wurde erst kurz vor dem Truppenversuch abgebrochen – wird von einschlägigen Spezialisten zwar behauptet; Fakt bleibt aber, daß die politische Führung hier erst einmal auf die Bremse getreten hat.

Überhaupt findet die UN-Überprüfungskonferenz in Wien zu einem für die Bundesregierung denkbar günstigen Zeitpunkt statt. Die Kosten für Forschung, Entwicklung und Beschaffung von Landminen sind seit 1990 deutlich gefallen und werden 1996 voraussichtlich auf dem historischen Tiefpunkt von nur rund 110 Millionen Mark liegen. 1990 waren es noch knapp 600 Millionen Mark, 1991 dann 491 Millionen, 1992 nur noch rund 360 Millionen, während bis 1994 dann wieder ein Anstieg auf rund 412 Millionen zu verzeichnen war. Für 1995 sind 234 Millionen Mark veranschlagt.

Das hängt allerdings nicht nur mit dem Abscheu der Bundesregierung vor dem „schleichenden Völkermord“ durch Minen (Friedberg Pflüger) zusammen, sondern hat vor allem mit dem Beschaffungsrhythmus der Bundeswehr zu tun. Rechtzeitig ein Jahr vor der Überprüfungskonferenz waren die geplanten Minenbeschaffungsprogramme abgeschlossen, eine neue Generation wird sich erst in einigen Jahren kostenmäßig bemerkbar machen. Richtig Geld gekostet hat in den Jahren 1990 bis 1994 die Ausstattung der ganzen Bundeswehr mit neuen Panzerabwehrminen. Der größte Posten in den letzten Jahren: Die Tornado-Jagdbomber wurden mit der Mehrzweckwaffe MW-1 ausgerüstet. Diese Mehrzweckwaffe enthält auch drei Minentypen, die als Panzerabwehrminen und Anti-Material-Minen gelten und aus dem Tiefstflug bei 1.000 Stundenkilometer Geschwindigkeit verlegt werden können. Die Minen, von denen die Bundeswehr – im Gegensatz zum Hersteller – behauptet, ein Typ sei gar keine Mine, sondern lediglich eine Submunition, die nur zeitverzögert explodiert, werden auf einen bestimmten Zeitpunkt programmiert und zerstören sich dann selbst. Vorausgesetzt, sie wurden nicht zuvor durch einen Panzer, ein vorbeirollendes Flugzeug oder ein Fahrzeug ausgelöst. Der zweite große Posten aus den letzten fünf Jahren war die Anschaffung des Mars-Raketenwerfers und der dazugehörigen Minenmunition AT-2, die mit dem Raketenwerfer verschossen wird. Die Reichweite des Systems beträgt bis zu 40 Kilometer, pro Rakete können 28 Minen verschossen werden. Die AT-2 ist eine panzerbrechende Mine, die hochgeht, sobald ein Panzer darüberfährt. Nach Ablauf einer vorher einstellbaren Wirkzeit (zwischen 3 und 96 Stunden) soll die Mine sich selbst zerstören. Der Mars-Raketenwerfer ist eine europäische Koproduktion. Die Entwicklung der Minenrakete – ein deutsches Vorhaben – wurde von der Raketentechnik GmbH, einer gemeinsamen Tochter von Diehl und MBB, durchgeführt. Die Beschaffung von Mars und AT-2 wird 1995 ebenfalls abgeschlossen.

Entscheidend für die Minenzukunft der Bundeswehr ist aber nicht nur der Gesamttrend in den letzten Jahre, sondern die unterschiedliche Verteilung der Gesamtmittel auf die Posten Forschung, Entwicklung und Beschaffung. Während in den Jahren 90 bis 93 für Forschung gar kein Geld und auch für Entwicklung nur noch wenige Millionen bereitgestellt werden mußten, sieht es ab 1996 genau andersherum aus. Die bis 1997 veranschlagten Kosten dienen der Entwicklung einer neuen Panzerabwehrrichtmine und der Entwicklung einer Mars- Flächenverteidigungsmine. In beiden Fällen geht es um die Herstellung serienreifer intelligenter, elektronisch gesteuerter Minen, die sich ihre Ziele innerhalb eines bestimmten, relativ großen Radius selbst suchen können. Die neue Panzerabwehrmine soll als unbemannte Panzerfaust dienen, die mit Hilfe mehrerer Sensoren, darunter ein Akustiksensor, einen Panzer erfassen und abschießen kann, ohne daß dieser durch Berührung einen Kontakt auslösen muß. Die Idee zu einer Flächenverteidigungsmine ist den High- Tech-Wünschen der militärischen Planer entsprungen. Sie soll mit dem Mars-Raketenwerfer verschossen werden und lauern, bis sich ein geeignetes Ziel nähert. Dann wird die Mine aktiviert und schießt einen kleinen Flugkörper mehrere hundert Meter in die Luft. Sobald dieser – der Schwerkraft folgend – wieder zur Erde fällt, beginnt er den Boden nach dem Ziel abzusuchen. Ist das Ziel erfaßt, stürzt sich die Munition von oben, einem Greifvogel ähnlich, im Sturzflug auf das Opfer. 288 Millionen Mark sollen Forschung und Entwicklung dieser Mine verschlingen.

Sind die neuen Entwicklungsvorhaben abgeschlossen und ihr Kauf steht an, werden die Beschaffungskosten wieder in die Höhe schnellen; schließlich sind die jetzt geplanten effizienten High-Tech- Minen nicht für 5 Dollar das Stück, sondern eher für 5.000 Dollar pro Exemplar zu haben. Bis dahin aber ist die UNO-Überprüfungskonferenz für Minen längst vorbei und die nächste wahrscheinlich noch nicht in Sicht. Für die Bundesregierung wahrlich eine glückliche Terminierung. Jürgen Gottschlich