„Ich war kein Geheimniskrämer“

■ Der SPD-Politiker Hans-Jochen Vogel über seine Erfahrungen bei der Wahl von VerfassungsrichterInnen durch den Bundestag

taz: Herr Vogel, Sie waren vier Jahre lang, von 1991 bis 1994, Vorsitzender des Bundestagsausschusses, der VerfassungsrichterInnen wählt. In den letzten Wochen wurde dieses Verfahren häufig als „geheimniskrämerisch“ oder gar als „verfassungswidrig“ bezeichnet. Trifft Sie das persönlich?

Hans-Jochen Vogel: Nein, aber ich bin schon etwas verwundert über diese Diskussionen. Das Wahlverfahren gibt es nun seit über 40 Jahren und seit über 40 Jahren hat das Bundesverfassungsgericht das höchste Ansehen unter den Bundesorganen. Warum soll man nun plötzlich das Wahlverfahren ändern?

Die Abgeordneten Hirsch (FDP) und Schily (SPD) wollen, daß die RichterInnen, die der Bundestag zu küren hat, künftig im Plenum gewählt werden. Was spricht dagegen?

Ich werde mich in dieser Frage nicht verkämpfen. Aber durch den Vorschlag von Hirsch und Schily wird sich im Ergebnis auch nichts ändern. Nach meiner parlamentarischen Erfahrung ist es sehr unwahrscheinlich, daß das Bundestagsplenum zu anderen Ergebnissen kommt als ein Ausschuß.

Hirsch und Schily geht es ja auch vor allem um das Verfahren, um die Öffentlichkeit der RichterInnenwahl.

Ich habe mich nie als Geheimniskrämer gefühlt. Vor jeder RichterInnenwahl standen doch die Namen, die diskutiert wurden, in allen überregionalen Zeitungen, auch in der taz. Was will man mehr?

Eine Entscheidung durch das Plenum hat vielleich mehr Gewicht als eine Wahl im Ausschuß.

Die Hälfte der Richter am Verfassungsgericht wird vom Bundesrat benannt – und zwar vom dortigen Plenum und nicht von einem Ausschuß. Haben Sie deshalb das Gefühl, daß diese Richter mehr Gewicht haben als die anderen? Glauben Sie etwa, daß der Protest nach dem Kruzifix-Urteil anders ausgefallen wäre, wenn auch der Bundestag seine Richter im Plenum wählen würde?

Als Jurist müßte es Ihnen aber zu denken geben, wenn im Grundgesetz ausdrücklich steht, daß die Wahl durch den Bundestag erfolgt. Damit ist doch das Plenum gemeint.

Diesen Einwand nehme ich auch durchaus ernst. Aber das Verfassungsgericht hat bereits mehrmals entschieden, daß das Verfahren der Richterwahl in Ordnung ist. Und in Verfassungsfragen hat Karlsruhe das letzte Wort.

Wie läuft denn eine Richterwahl im Ausschuß eigentlich ab?

Die Sitzungen waren relativ kurz. Die Wahl von Jutta Limbach zur Senatspräsidentin dauerte ganze 15 Minuten.

15 Minuten für eine so wichtige Entscheidung?

Warum nicht? Jeder hat gewußt, wer Jutta Limbach ist, und was sie gemacht hat.

Die Ausschußsitzung kann also kurz gehalten werden, weil die Obleute der Fraktionen vorher schon alles ausgemauschelt haben?

Warum mauscheln? Die Entscheidungen werden wie andere wichtige Entscheidungen – unter Beteiligung der Ausschußmitglieder – auf der Spitzenebene vorbereitet. Und diese Vorbereitungen waren auch notwendig.

Fraktionsspitzen, MinisterInnen und Kanzler sitzen aber gar nicht im zuständigen Ausschuß.

Eben deshalb würde sich auch nichts ändern, wenn man die Richter künftig im Plenum wählt.

Wenn es aber vor der Wahl zu einer öffentlichen Anhörung käme, wie es die Bündnisgrünen vorschlagen, das wäre doch eine echte Veränderung?

Eine Veränderung wäre es schon, aber ich bin nicht sicher, ob es etwas bringt. Haben denn das Ansehen und die Arbeit des Gerichts bisher darunter gelitten, daß es keine Anhörung gab.

Sind Sie für eine Quotierung des Verfassungsgerichts?

De facto durchaus. Da hat sich ja seit 1991 einiges verändert. Damals gab es nur zwei Richterinnen, heute sind es fünf von sechzehn. Die volle Parität läßt sich so rascher erreichen, als auf dem Weg über ein langwieriges Gesetzgebungsverfahren. Interview: Christian Rath