Protest-Fallout mit Volksfeststimmung auf Tahiti: Jugendliche Randalierer legen den Flughafen und ganze Wohnblocks in Schutt und Asche. Frankreich reagiert auf 13 Verletzte und 16 Millionen Mark Sachschaden mit der Entsendung von Polizisten

Protest-Fallout mit Volksfeststimmung auf Tahiti: Jugendliche Randalierer legen den Flughafen und ganze Wohnblocks in Schutt und Asche. Frankreich reagiert auf 13 Verletzte und 16 Millionen Mark Sachschaden mit der Entsendung von Polizisten.

Papeete nach Atomtest in Flammen

Welcome to Tahiti“ – der junge Mann lacht. Hinter ihm steht ein kompletter Häuserblock in Flammen. Gelegentlich hallt ein Knall durch die ganze Stadt, wenn ein Gascontainer in die Luft geht.

Unter dem Vordach eines Fährenterminals zur Nachbarinsel Moorea drängen sich Touristen, ihre Koffer neben oder unter sich – als hofften sie, per Boot wegzukommen. Es sind die evakuierten Gäste des Hotels Royal Papeete, das vor dem brennenden Häuserblock liegt. Ein Hotel weiter dürfen die Gäste wegen der Brandgefahr nur noch kurz in ihre Zimmer, um ihr Hab und Gut zu retten. Die Hotel-Lobby hat sich in eine Art Flüchlingscamp verwandelt. Blau- rot zuckt das Licht über die Straße vor dem Hotel. Keine Feuerwehr, sondern die Coca-Cola-Werbung auf dem Dach. Strom gibt es nur noch an einigen Stellen der Stadt – aber die Leuchtreklamen funktionieren noch.

Drei Appartementblocks haben sich in riesige Fackeln verwandelt, mindestens ein Dutzend Läden und Büros sind ausgebrannt. Jede Schaufensterscheibe in Papeete, die kein Rolladen schützte, ist zerbrochen – mit einer merkwürdigen Ausnahme: den Banken. Die Stimmung in den endlich einmal fast autofreien Straßen ist deutlich besser als auf den meisten deutschen Volksfesten. Daran ändert auch die Luft hier nichts: Ein Gemisch aus Rauch und Tränengas kratzt in der Kehle.

Da trippelt in dem drei Straßen großen Rotlichtviertel ein Transvestit mit einer enormen weißen Schleife im Haar und engem Rock vor den Polizisten davon, ein Schwarm Mädchen hinterher. „CRS“ – so heißt die Spezialeinheit der französischen Polizei – kreischt eine von ihnen lachend, etwa in dem Tonfall, als würde sie begeistert auf einem Popkonzert nach Robbie Williams schreien. Die wenigen Polizisten scheuchen gelegentlich mal ein paar Plünderer durch die Straßen, hie und da führen sie einen in Handschellen ab. Aber die meisten Jugendlichen haben Zeit, sich seelenruhig ein T-Shirt in der richtigen Größe im Laden auszusuchen.

Splittern einmal die Scheiben, wird sofort geplündert, ganz egal was. Junge Männer ziehen mit riesigen Nylontaschen von Laden zu Laden und füllen sie prall an. Aus einem eingeschlagenen Fenster heraus riecht es, daß man eine Kneipe dahinter vermuten würde. Es ist jedoch ein Sportartikelladen, schon so gut wie leer. Was da so nach Bier riecht, sind die Plünderer selber.

„Français?“ ist die drohende Frage, die den Journalisten – den einzigen Weißen auf der Straße, von Polizei und Feuerwehr abgesehen – ständig hingeworfen wird. Jeder verneint, auch die französischen Kollegen bemühen sich – diese eine Nacht lang – nur englisch zu reden. „Dann ist es ja okay“, und schon sind die Leute wieder so freundlich wie eigentlich immer auf Tahiti.

Die mobilen Einsatzkommandos der Gendarmerie, die dem Militär zugeordnet ist, sind nur vor der Residenz des französischen Hochkommissars und den Regierungsgebäuden der Territorialverwaltung massiv präsent. Dort, am zentralen Platz Papeetes, hatten die Demonstranten zuerst versucht, Feuer zu legen. Es gelang ihnen jedoch nicht. Nur der Müll aus den umgekippten Mülltonnen brennt noch auf der Straße.

Von dort waren die Jugendlichen, oft mit um den Kopf gewickelten T-Shirts vermummt, weitergezogen. Insgesamt waren es schätzungsweise nicht mal hundert, die die brandschatzende Vorhut bildeten. Einer zieht vorbei mit einer gigantischen geschnitzten Keule, andere nehmen mit Baseballschlägern vorlieb. Von Atomtests war bei all dem nichts zu hören, nicht mal von Unabhängigkeit. Nur einmal sagte eine Frau im Vorbeigehen: „Wir tun das alles für unsere Kinder. Chirac ist schuld an dem, was hier passiert.“

An anderer Stelle in Papeete ist die Stimmung weniger gut. Ein dreistöckiger Appartementblock ist zum Flammenmeer geworden. Die Fassade existiert nicht mehr. Zwei zierliche Frauen in Shorts halten gemeinsam einen Feuerwehrschlauch und spritzen in die Flammen, als ob es dort noch etwas zu retten gäbe. Auf der anderen Seite des Platzes – wegen der großen Hitze – treten schweigend 30 bis 40 Menschen von einem Bein aufs andere und starren in die immer wieder auffauchenden Flammen: die Bewohner des Hauses, oder besser gesagt, die ehemaligen Bewohner eines Betonskelettes.

Schon am frühen Mittwoch nachmittag waren in Papeete aus Angst vor Randale die Bürgersteige hochgeklappt worden. Denn den ganzen Mittwoch über haben Hunderte, zeitweilig gut über tausend Jugendliche den internationalen Flughafen von Tahiti in Schutt und Asche gelegt. Brandsätze und Steine flogen von der einen Seite, Tränengasgranaten und Knallkörper von der anderen, der Seite der mobilen Sondereinsatzkommandos der nationalen – das heißt französischen – Polizei. Mehrere Kompanien Verstärkung wurden gestern noch nach Papeete entsandt. Die Fluggäste eines französischen Charterjets, der schon auf der Startbahn wartete, mußten evakuiert werden.

Faa, wo der Flughafen liegt, ist Papeetes Nachbarort. Der Bürgermeister heißt Oscar Temaru und ist zugleich Chef der Unabhängigkeitspartei Tavini. Vormittags hatte er zu einer Pressekonferenz in sein Rathaus geladen – über Faa hingen derweil schon die Rauchwolken. Kurz danach gingen die revoltierenden Jugendlichen dazu über, die Autos vor dem Flughafen anzuzünden – alle, mindestens hundert Stück. Die Polizisten in schwarzem Kampfanzug waren deutlich in der Minderzahl – sie konnten nichts weiter tun, als Demonstranten hin- und her zu schieben. Neun zum Teil schwer verletzte Demonstranten und sieben verletzte Polizisten meldeten die Abendnachrichten. Der Sachschaden allein am Flughafen wird auf 16 Millionen Mark geschätzt.

Oscar Temarus Gesicht bleibt stoisch. „Es ist nicht meine Partei, es ist das Volk, das sich entschlossen hat, so zu handeln“, wiederholt er mehrfach. „Sie können von hier hören, wie die Franzosen auf uns schießen. Der Flughafen gehört Frankreich, und deshalb beschloß unser Volk, ihn zu besetzen.“ Nachdem die Franzosen am Dienstag ihre Atombombe zündeten, liege nun ein Gefühl von „Wut, Frustration und Erniedrigung“ über dem ganzen Land und treibe die Menschen zu solchen Ausbrüchen. „Sie behandeln uns wie Tiere“, gibt Temaru zum Schluß das Gefühl seiner Leute wieder. Nicola Liebert