Sozialbehörde wollte zwangsröntgen

■ Behörden-Streit um die Altersbestimmung von Asylsuchenden

Gibt es in Bremen das „Zwangsröntgen“ zur Feststellung des Alters von Asylbewerbern, das der Ärztetag im Juni 1995 aus „ethisch-moralischen Gründen“ abgelehnt hat? Justizsentor Scherf antwortete jetzt auf diese Anfrage der Grünen in der Bürgerschaft: Es gehe um eine schlichte Röntgenaufnhme der Hand oder des Knies, bei allen seinen Töchtern habe er das machen lassen, einfach um zu erfahren, wie groß sie vermutlich werden würden. Kein Grund zur Aufregung also, wenn ein unabhängiges Gericht ein zwangsweises Röntgen anordne. Aber, so fügte Scherf hinzu, es gebe keine neuen Fälle mehr – möglicherweise hätten die Strafverfahren ihre abschreckende Wirkung nicht verfehlt.

Richtig zum Konflikt geworden war das „Zwangsröntgen“, als das Anti-Rassismus-Büro Anfang August darauf hingewiesen hatte. Im Juni schon hatte die damalige Sozial- und Gesundheitssenatorin Gärtner sich empört über das Zwangsröntgen. In der Tat gibt es keine „neuen Fälle“ mehr. Dies allerdings nicht wegen der abschreckenden Wirkung – denn kein einziger der Asylbewerber ist wegen eines falsch angegebenen Alters verurteilt worden. Die Zahl der Verfahren – ursprünglich 20 – ist auf „3 bis 5“ zusammengeschmolzen.

Pikant ist der Vorgang, weil es ausgerechnet die Sozialbehörde der Senatorin Gärtner war, die der Kripo die Verdachtsfälle zur Überprüfung der Altersangaben übergeben hatte. Der Sprecher der Sozialbehörde bestreitet das heute vehement: „Die Kripo ist nicht von uns eingeschaltet worden.“

Doch da irrt er. In einem Vermerk ist der Hintergrund eindeutig festgehalten: Der Mitarbeiter der Sozialbehörde, Scheidler, der in der Zentralen Aufnahmestelle für Asylbewerber arbeitet, hatte bei seinem Chef Heintze nachgefragt und der bei Staatsrat Hoppensack, ob man die Fälle mit zweifelhaften Altersangaben der Kripo weitergeben solle. „Dieser (Hoppensack) habe die Übermittlung von Verdachtsfällen an die Polizei gebilligt“, heißt es in dem Vermerk, und zwar „im Hinblick auf die großen Kosten“ der Unterbringung von Jugendlichen. 107 jugendliche Asylbewerber, die ohne Eltern oder Verwandte gekommen sind, versorgt die Sozialbehörde derzeit In einem Fall, so das Anti-Rassismus-Büro, hat die Leiterin der Unterkunft für Jugendliche in der Steinsetzer Straße die Polizei verständigt, daß ihr einzelne ihrer „Jugendlichen“ nicht sehr jugendlich erschienen.

Der große Streit um das „Zwangsröntgen“ kommt allerdings ein Jahr zu spät: Seit dem August 1994 kann der Zast-Mitarbeiter Scheidler, der damals die Fälle an die Kripo weitergab, nach eigenem Ermessen eine Altersangabe von Asylbewerbern einsetzen, wenn offenbar Erwachsene ohne Paß angeben, sie seien gerade 16 Jahre alt. Die Asylbewerber können dann selber gegen diese Altersfestlegung klagen – und sich „freiwillig“ der Röntgenaufnhme unterziehen. K.W.