OP-Hemden zum Beispiel

Avantgarde-ModedesignerInnen in Berlin, Teil 1: Das Materialforscher-Duo „Next G+U+R+U Now“ – von NVA-Stoffen zum Feinripp  ■ Von Kirsten Niemann

Hinter dem Pseudonym „Next G+U+R+U Now“ verbirgt sich keine religiöse Seelenfängergemeinde, wie der Name nahelegen könnte, sondern das Label des Berliner Modedesigner-Duos Uta Riechers und Martin Wuttke. Beide studierten Modedesign im Lette-Verein und kannten sich von verschiedenen Off-Modemessen und Präsentationen.

Nach ihrem Abschluß gingen sie zunächst getrennte Wege: Sie werkelte zwei Jahre lang als Kostümschneiderin für Filmproduktionen in Paris, während er sich kurzfristig an die Königliche Akademie nach Antwerpen absetzte und eine Schnittausbildung absolvierte.

Anfang 1992 gründeten sie „Next G+U+R+U Now“, ein Name, der sich aus Uta Riechers Initialien und „Get Ugly“, dem ersten Label Wuttkes, zusammensetzt. Next und Now stehen für die „zwingende Notwendigkeit, die Dinge voranzutreiben“.

Die experimentelle L'Art pour L'Art-Episode, die unter anderem eher mäßig vermarktbare Stücke hervorgebracht hat – wie die aufblasbare Regenjacke oder das Kunstgrasmäntelchen für den Hund – haben die beiden schnell hinter sich gelassen. Es folgte eine Phase der Materialforschung: Mode aus 100% Recyclingware.

Sie begannen mit ihrer 93er Streetwear-Kollektion, für die sie alte adidas-Trainingsanzüge auseinandertrennten, um ihnen eine neue Form zu verleihen. Später entdeckten sie die Bestände der NVA für ihre Zwecke: Workwear goes Military lautete das Motto. Es entstanden klassisch geschnittene Kostüme, Hosen, Jacken, Mäntel aus NVA-Decken, Abendkleider aus Fallschirmstoff oder Tarnnetzen. „Das Faszinierende an diesem Material ist, daß es zuvor einer völlig anderen Bestimmung zugedacht war“, sagt Wuttke in seinem Atelier im Scheunenviertel, „es hat bereits gelebt, mit all seinen Abnutzungserscheinungen. Deshalb gleicht auch kein Stück dem anderen.“ Die Bandbreite der Stücke reicht von wuchtigen Arbeitsuniformen, klassischen Trenchcoat- Schnitten, aufrollbaren Zeltmänteln, bis zu rückenfreien OP-Hemden für den Mann und eleganten Abendkleidern für Frauen.

Mittlerweile verabschieden sich die beiden zunehmend von dem Secondhand-Material, dessen Beschaffung in größeren Mengen mit Schwierigkeiten verbunden ist. Für die kommende Sommermode horteten sie daher riesige Bestände (fabrikneuer!) Männerunterhosen aus piefigstem Feinripp, zerlegten diese und schneiderten daraus Stretchkleider. Die Herkunft des Stoffes bleibt jedoch für jeden offensichtlich: der für die Unterhosen nun einmal obligatorische Finger-Eingriff ist plakativ auf die Brust gesetzt.

Bei der Produktion von superkurzen Hängerkleidchen gingen sie in ihrer Materialsuche noch einen Schritt weiter: aufgelöste Wolldecken, Jeanshosen und Putzlappen webten sie für diesen an Tweed erinnernden Stoff neu zusammen. Auf der AVE (wie die Alternative Modemesse Off-Line seit drei Jahren heißt) wurde die Arbeit der JungdesignerInnen bereits 1993 und 1994 honoriert.

Daraufhin folgte die Einladung zu einer Präsentation in Hyères/ Frankreich, der Gewinn des Parliament of Fashion, die Teilnahme an der CPD in Düsseldorf und der „Paris sur Mode“. Zur Zeit bereiten sie sich intensiv auf den SEHM (Salon international de l'habillement masculin) vor.

Uta Riechers kümmert sich um die Preislisten, da Wuttke von Zahlen nach eigener Aussage nicht allzu viel versteht, während er selbst gerne die Präsentation und die PR in die Hand nimmt.

„Das Interesse an uns war auf den Modemessen immer schon beachtlich“, berichtet Martin Wuttke, „doch bis die Leute unsere Sachen auch bestellten, das dauerte...“ Inzwischen hängen ihre Kollektionen nicht nur in drei Berliner Boutiquen (Wicked Garden, Base I und Rag Jam), sondern finden auch in New York, Tokio und Hongkong dankbare Abnehmer.

In Köln und Hamburg verkaufen sie deutlich besser als in Berlin – ein Problem, das sie mit vielen DesignerInnen teilen. „Die Berliner kleiden sich zwar schlecht, aber sie können sich immerhin gut stylen, und das inspiriert uns ebenso wie der ganz normale Kleinkram, den das Leben so beschert.“

Martin Wuttke grinst entzückt, während er aufzählt: „Wackelpudding, Regentropfen auf Schamhaar und Formen der Konfitüre auf Butterbrötchen inspirieren uns genauso wie zu enge, nadelstreifige Grenzbeamte oder Hostessen, deren verrutschte Uniform sich asymetrisch über der Brust spannt...“

Kontakt: „Next G+U+R+U Now“, Auguststraße 19, 10117 Berlin, Telefon: 2827741.