"Erlösung erhofft"

■ Martin Schieder vom Arbeitskreis Montessori-Pädagogik kritisiert den Computer-Fetischismus an den Schulen

taz: Kann man von einem Boom der Montessori-Pädagogik sprechen?

Martin Schieder: Ja leider.

Wieso leider?

Montessori in den Schulalltag einzubeziehen, hört sich einfach an, ist aber schwer zu machen. Maria Montessori wollte den Kindern im Rahmen der Schule außerordentlich vielfältige und ansprechende Handlungsmöglichkeiten zur freien Entwicklung anbieten. Diese Qualifikation erreicht ein Pädagoge, bei allem guten Willen, der besonders im Ostteil der Stadt deutlich zu spüren ist, nicht von heute auf morgen.

Wieviele LehrerInnen in Berlin und Brandenburg gehen mittlerweile diesen Weg?

Es sind weit über 1.000 PädagogInnen, die hier in den letzten fünf, sechs Jahren einen Ausbildungskurs abgeschlossen haben.

Ergebnis der Krise des traditionellen Bildungssystems?

In Berlin haben die Schulen schon seit Jahren mit größeren Problemen zu kämpfen als in anderen Großstädten der Bundesrepublik. Immer mehr Kinder verweigern sich hier. LehrerInnen treten vor ihre Klasse bereits in der Hoffnung, vom Klingelzeichen wieder erlöst zu werden. Die Bildungspolitik in Berlin wird beherrscht von Formalisierung und Bürokratisierung.

Schulsenator Klemann erhofft sich darüber hinaus von Hypermedia und CD-Rom im Klassenzimmer die „größte Veränderung des Bildungswesens seit der Erfindung des Buchdrucks“. Das halte ich für eine kurzschlüssige Einschätzung.

Haben Computer nichts in der Schule zu suchen?

Natürlich haben sie heute ihre Bedeutung auch in der Schule. Aber welches Kind hat denn gelernt, selbstbestimmt damit umzugehen? Wo sind die kindgerechten Lernprogramme, von denen seit Jahren gesprochen wird?

NeuropsychologInnen und NeurobiologInnen haben festgestellt, daß sich die Hirne der Medienkids umstrukturieren. Die Bereiche für das abstrakte Denken und für die Entwicklung der Fantasie entwickeln sich heute ganz anders als vor 20 Jahren. Die Schule wird sich darauf schon in Kürze einstellen müssen.

Welche Motive haben Eltern, ihre Kinder zu Montessori-Schulen zu schicken?

Es gibt einige wenige, die ihre Kinder deshalb in Schulen mit Montessori-Klassen schicken, um aus ihrem Sprößling ein Wunderkind zu machen. Doch Montessori ist kein Dienstleistungsangebot, keine Gymnasiastenschmiede.

Weshalb findet der Berliner Montessori-Kongreß statt?

Der Arbeitskreis für Montessori-Pädagogik will ein bildungspolitisches Zeichen setzen. Reformpolitik war immer dann erfolgreich, wenn sie sich aktiv in die Politik eingemischt hat.

Sie erstarrte, wenn sie sich mehr oder weniger selbstgefällig aus Wissenschaft und Politik herauszuhalten versuchte. Maria Montessori selbst sah in ihrer Methode einen Beitrag zur fundamentalen Veränderung der Schule, keinen Verbandskasten für das alte Schulsystem.

Auf dem Berliner Kongreß sollte mit dem längst überfälligen Dialog zwischen Pädagogik und Politik über die Zukunft der Schule im postindustriellen Zeitalter begonnen werden.

Danke für das Gespräch.

Interview: Kathi Seefeld