Wer teilt, kann nicht herrschen

■ Mehr Jobs durch kurze Arbeitszeit? Das Memorandum von Arbeitssenatorin Bergmann hält nicht, was es verspricht

Beim Kongreß „Arbeitszeitpolitik 2000“ traf Sozialsenatorin Ingrid Stahmer (SPD) den Nagel auf den Kopf. Sie sprach aus, was viele TeilnehmerInnen nach zwei Kongreßtagen in der vergangenen Woche dachten. „Gegen das Berliner Memorandum zur Arbeitszeitpolitik spricht die Tatsache, daß es schon jetzt genügend Leute gibt, die nicht genug verdienen.“ Ein Seitenhieb gegen ihre SPD-Kollegin und Arbeitssenatorin Christine Bergmann, die für das Memorandum und den Kongreß verantwortlich zeichnete.

Bergmanns Ziel, durch Umverteilung der Arbeit bis zum Jahr 2000 die Arbeitslosigkeit zu halbieren, hat offenbar nur eine Gegnerin: die Realität. „Fast die Hälfte der Frauen, die heute Teilzeit arbeiten, verdient nicht mehr als 1.500 Mark“, heißt es etwa in einer Studie des Sozialwissenschaftlichen Forschungszentrums Berlin- Brandenburg.

Zwar wären 47 Prozent der BerlinerInnen bereit, verkürzt zu arbeiten – vorausgesetzt, bei der Renten- und Arbeitslosenversicherung entstünden ihnen keine Nachteile – doch diese Bereitschaft bezieht sich auf eine individuell gestaltbare Arbeitszeit ohne Imageverlust im Betrieb.

Heute dagegen ist die Teilzeitarbeit fast immer mit fehlender gesellschaftlicher Akzeptanz verbunden. Besonders in Branchen, in denen ohnehin schon viele Frauen arbeiten, und den von Männern dominierten Chefetagen der deutschen Wirtschaft herrscht bis auf wenige Ausnahmen die Meinung, gegenseitige Ersetzbarkeit sei uneffektiv und schade dem Unternehmen.

Eine Ansicht, aus der auch Norbert Walter von der Deutschen Bank während des Kongresses keinen Hehl machte. „Warum betrachten wir immer jene als pathologische Fälle, die viel arbeiten und ihre Arbeit nicht teilen wollen?“, so Walter. „Durch solche Leute werden viele andere doch überhaupt erst in den Stand versetzt, arbeiten zu können.“ Als in seinem Büro neue Computer Einzug hielten, habe seine Sekretärin nicht um ihren Arbeitsplatz bangen müssen. Wenn er nun aber nur noch halbsoviel arbeiten würde, was wäre dann mit seiner Sekretärin? fragte der Banker in den Saal – erhaben darüber, daß wegen dieser Äußerungen auch der Applaus seitens der weiblichen Zuhörerinnen für seine ansonsten durchaus interessanten Gedanken ausblieb.

Petra Ojeniyi, Kreuzbergs Frauenbeauftragte, schilderte die Realitäten in ihrem Bezirk. „Wir haben hier 834 teilzeitarbeitende Frauen und 62 Männer. Von ihnen arbeitet niemand in irgendeiner Leitungsposition. Männer in den Führungsetagen teilen doch nicht ihre Macht.“

Auf der anderen Seite bringt die Verkürzung von Arbeitszeit gerade jenen Frauen, die familiär gebunden sind, nur wenig. Gewonnene Freiräume werden nicht, wie vorgesehen, für individuelle Genüsse, Bildung oder zur Regenerierung der Arbeitskraft genutzt, sondern oftmals in zusätzliche Hausarbeit gesteckt. Die fällt an, wenn der Lebenspartner mehr arbeitet.

Doch auch in dieser Hinsicht heißt es im Berliner Memorandum: „man müßte“, „man sollte“, „man könnte“. Staatliche Einflußnahme wird eingeklagt, aber kaum ein Wort über die Durchsetzung verloren.

Im übrigen wirkt gerade das in Berlin verabschiedete neue Gesetz zur Realisierung des Kindergartenanspruchs der Aufwertung der Teilzeitarbeit entgegen. Dort heißt es, daß Kinder in Kindertagesstätten ganztägig oder halbtags gefördert werden können. Der Rechtsanspruch ist also bereits mit einer Halbtagsbetreuung erfüllt.

Vier bis fünf Stunden Betreuung ohne Mittagessen – von einer freien Wahl, verkürzt zu arbeiten, oder gar von individueller Gestaltung der flexiblen Arbeitszeit kann da für viele Frauen nicht mehr die Rede sein.

Für Ingrid Stahmer war eines klar: „Bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf können wir erst dann den Durchbruch erzielen, wenn wir dieses Thema auch zu einem Männerthema machen.“ Kathi Seefeld