Zurück in die Zukunft

■ Brutalität auf den Schulhöfen: Da boomt die Montessori-Pädagogik

Erziehung in der Krise, wieder einmal. Immer mehr PädagogInnen, ÄrztInnen und WissenschaftlerInnen sehen einen Ausweg in den fast schon 100 Jahre alten Erziehungsmethoden der Maria Montessori. Vom 22. bis zum 24. September findet in Berlin und Potsdam anläßlich des 70jährigen Bestehens der Deutschen Montessori-Gesellschaft ein Kongreß statt, der sich mit der aktuellen Bedeutung der Montessori- Pädagogik in Deutschland, Österreich und der Schweiz auseinandersetzt.

Niklas ist fünf Jahre alt. Mit einer Pinzette zwischen den Fingern füllt er Bohnen und Erbsen in Reagenzgläser, eine halbe Stunde schon. Gleich wird er seine Arbeit beenden, einem anderen Kind Platz machen und sich einer anderen Tätigkeit zuwenden. „Wasser umzufüllen ist sehr beliebt“, weiß Erzieherin Barbara Flath. Genauso wie Geschenkkisten einzupacken und kleine Holzzylinder in die Vertiefungen eines Holzblockes einzupassen.

Marco, der ebenfalls die Vorklasse der Berliner Maria Montessori Schule besucht, beschäftigt sich nun schon den zweiten Tag mit Zahlen. „Du mußt die Augen zumachen und fühlen“, sagt er und hält ein Holztäfelchen hoch, auf dem eine aus Sandpapier geschnittene Ziffer klebt. Nach dem „Be- Greifen“, übt er das Nachmalen der Zahl in einer kleinen Sandkiste. Immer wieder, bis ihm gefällt, was er da sieht. Dann erst schreibt er die Sieben auf ein Blatt Papier. Und weil es ihm Spaß macht, gleich siebenmal hintereinander.

Konzentriert und lustvoll arbeitende Kinder – es gibt sie tatsächlich. Während der Spiegel mit seinem neuen „special“ die Erziehung in der Krise beschreibt, haben sich in aller Stille bundesdeutsche PädagogInnen längst auf den Weg gemacht. Zurück in die Zukunft – zu den Methoden der Maria Montessori. Für LehrerInnen wie Bärbel Hecklau, die derzeit eine dritte Klasse betreut, war es ein Ausweg aus den Frustrationen des Daseins als Erzieherin. „Ich habe jetzt mit viel glücklicheren Kindern zu tun, die die Spanne ihres Könnens voll ausschöpfen.“

Nach Aussagen des Berliner Montessori-Arbeitskreises ist derzeit ein regelrechter Boom der fast hundert Jahre alten Erziehungsmethode im Gange. Das kann nicht verwundern. Setzt Montessoris Pädagogik doch genau dort an, wo nicht zuletzt US-amerikanische HirnforscherInnen den Medienkids der 90er Jahre die größten Defizite attestieren: Sprache, abstraktes Denken, Phantasie und Sinnlichkeit verkümmern. Natürlich könnten sich die Erwachsenen damit abfinden, daß die zu beobachtende Abstumpfung gleichzeitig mit einem Anstieg der Fähigkeit einhergeht, riesige Bilder- und Datenmengen zu verarbeiten. Doch die zunehmende Unfähigkeit, sich sozial zu verhalten und miteinander zu reden, die Leistungsverweigerung und größere Brutalität schrecken viele Eltern und PädagogInnen.

LehrerInnen, die heute nach der Montessori-Methode unterrichten, entscheiden sich denn auch für einen schwierigen Weg. „Man selbst muß ein vollkommen anderer Mensch werden“, so Barbara Flath. Um die Beulen in den Kinderhirnen von heute auszubügeln, muß man begreifen, daß Kinder Leistung lieben, sie aber das Arbeitstempo auf dem Weg zum Erfolg selbst bestimmen. Erfolg stärkt das Selbstbewußtsein, Stolz auf die eigene Leistung festigt die Identität der kleinen Persönlichkeiten. „Wir können sie dabei lediglich begleiten, ihnen den Rahmen stecken und die entsprechenden Materialien zur Verfügung stellen.“

Auf der Suche nach Alternativen zur Schule von heute kommen LehrerInnen aller Couleur zusammen. Alt-Linke und Ex-Konservative, die sich in den 70er Jahren noch bis aufs Messer bekämpften, ziehen im Berliner Arbeitskreis für Montessori- Pädagogik an einem Strang. Der breite Wunsch, einer Technisierung, Ökonomisierung und Brutalisierung der Schule zu entkommen, hat dazu geführt, daß die Methode des „ganzheitlichen Lernens“ in den vergangenen fünf Jahren nicht nur ihrem Schattendasein unter dem Dach der katholischen Kirche entkam, sondern sich gegenwärtig in allen Bundesländern ausbreitet. Nicht nur in den Hochburgen Düsseldorf und Köln, Frankfurt am Main und München hört man von Maria Montessori, sondern auch an den Schulen Brandenburgs.

Obwohl sich auch die Kultusbehörden jetzt offener zeigen – den Wunsch, neue Wege zu gehen, müssen die ReformpädagogInnen derzeit noch reichlich teuer bezahlen. Nicht allein die private Finanzierung des Ausbildungskurses, die mehr als 3.000 Mark kosten kann, ist hart. „Es ist einfach eine immense Mehrarbeit“, so Bärbel Hecklau. Und sei es nur, um Eltern die Angst zu nehmen. „Die haben sie natürlich, wenn wir ihnen sagen, daß ihre Kinder bei uns den Umgang mit offenem Feuer erlernen, das Anzünden einer Kerze.“

Doch der freie Unterricht der Montessori-Pädagogik helfe den Kindern, selbstständig und verantwortungsbewußt zu handeln. Und diese Einstellung halte, einmal gelernt, ein Leben lang vor. Dessen sind sich die LehrerInnen der Berliner Maria-Montessori-Schule sicher. Kathi Seefeld