Tanzen für den Job

Schlechte Karten ohne Berufsabschluß: Berliner Bildungsträger BBJ hilft jungen Erwachsenen bei Arbeitsplatzsuche und Weiterqualifizierung  ■ Von Anja Dilk

Den Kopf in den Nacken geworfen, wirbelt die Gestalt in lederner Corsage dem Mann entgegen. Wie im Kampf umspringen sie einander. Eine Frau in fließendem Chiffonkleid preßt helle Töne aus ihrer Kehle, der junge Mann mit dem silbernen Ägypterhut spielt selbstverliebt mit dem grünen Apfel der Versuchung. Die Performance ist die erste Butoh-Tanz-Aufführung der Truppe in Berlin-Kreuzberg.

Alle TeilnehmerInnen wollen einen künstlerischen Beruf ergreifen – Schneider, Belichter oder Maskenbildner werden. An dem Tanzprojekt haben sie gemeinsam gearbeitet, von den Kostümen über die Choreographie bis zur Licht- und Bühnentechnik. „Die Arbeit in dem Projekt“, sagt die Sängerin Kim, „hat mir wieder gezeigt, daß ich etwas wert bin.“

Das „Programm 301/501“ des Berliner Bildungsträgers BBJ- Consult richtet sich an junge arbeitslose Erwachsene, die keinen Berufsabschluß haben. Wie Petra, die jahrelang in der Kreuzberger Szene herumhing, mehrere Jahre gejobbt hat und dann arbeitslos wurde. Bei BBJ kann sie sich berufsbegleitend weiterqualifizieren.

Das Modell ist einfach: Gemeinsam mit den TeilnehmerInnen sucht die BBJ einen Arbeitsplatz für drei Jahre. Als Toningenieur oder Maskenbildner, Bürokaufmann/frau oder Kfz-Techniker. Anreiz für die beteiligten Klein- und Mittelbetriebe sind die beträchtlichen Lohnkostenzuschüsse der Senatsverwaltung: 100 Prozent sind es im ersten Jahr, 70 im zweiten, 50 im dritten – Mittelstandsförderung zugleich.

Doch die jungen Erwachsenen bekommen nicht nur Berufspraxis. In 20 Prozent der Arbeitszeit nehmen sie an Weiterbildungsmaßnahmen teil. An EDV-Kursen oder eben an einem Tanzprojekt, für das sie selbst schneidern und gestalten. Die BBJ erstellt gemeinsam mit den jungen Erwachsenen einen individuellen Qualifizierungsplan. Der bezieht sich sowohl auf die betriebsinterne Weiterbildung am Arbeitsplatz als auch auf die Zusatzqualifikationen außerhalb.

1,6 Millionen junge Erwachsene zwischen 20 und 29 Jahren haben in der Bundesrepublik keinen formalen Berufsabschluß. Die Gründe sind vielfältig: Sei es, daß sie keinen Ausbildungsplatz gefunden haben oder lieber jobben wollten. Sei es, daß sie sich nicht für einen Beruf entscheiden konnten oder die Ausbildung abbrachen. Ohne Ausbildung sind die Chancen auf dem Arbeitsmarkt jedoch schlecht. Nur zwei Drittel der Ungelernten sind erwerbstätig. Und der Bedarf an Un- und Angelernten wird sich bis zum Jahr 2010 von 26 Prozent im Jahr 1991 auf voraussichtlich 13 Prozent halbieren.

Nach Untersuchungen des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) haben 320.000 der jungen Ungelernten durchaus Interesse an einer abschlußbezogenen Nachqualifizierung – sofern dies neben der Arbeit möglich ist. Denn für eine Erstausbildung ist es meist zu spät. Sie scheidet in der Regel aufgrund von Alter und Lebenssituation aus. Das Modell von BBJ könnte daher richtungsweisend sein für die Nachqualifizierung von Erwachsenen. Ein vergleichbares Modell wird zur Zeit in Mecklenburg-Vorpommern erprobt. Die Finanzierung derartiger Modelle allerdings steht immer noch auf wackligen Füßen. Die Unternehmen und Qualifizierungsträger müssen sich das Geld immer aus mehreren Töpfen holen.

Einen formalen Berufsabschluß erwerben die TeilnehmerInnen bei BBJ freilich nicht. Doch immerhin einen „Qualifizierungspaß“, der dokumentiert, in welchen Bereichen sie sich systematisch weiterqualifiziert haben. Im Rahmen eines Modellversuchs versucht die BBJ erstmals, TeilnehmerInnen über dieses Programm systematisch auf die Prüfung der Industrie- und Handelskammer als Bürokaufmann/frau vorzubereiten. Dann steht am Ende der Nachqualifizierung sogar ein ordentlicher Ausbildungsabschluß.

Etwa 70 Prozent der TeilnehmerInnen des „301/501-Programms“ werden nach der dreijährigen Arbeitszeit direkt von den Betrieben übernommen. Und was bringt das Qualifizierungsprogramm bei Bewerbungen auf dem freien Arbeitsmarkt? Erfahrungswerte gibt es noch nicht. Die 29jährige Petra hat ihre drei Jahre als Produktionsassistentin bald hinter sich. Sie hofft, daß ihr danach gelingt, wovon sie schon lange träumt: endlich eine eigene Produktion aufzubauen.