"Fragile Verhandlungen" in Genf

■ Die eintägige Friedenskonferenz verabschiedet eine "Prinzipienerklärung". Der Krieg und die Angriffe der Nato gehen weiter. Rußlands Präsident übt scharfe Kritik an der westlichen Bosnien-Politik

Genf (taz) Bei den gestrigen Genfer Gesprächen zwischen den Außenministern Serbiens, Kroatiens und Bosnien-Herzegowinas ist von US-Unterhändler Richard Holbrooke ein Dokument mit „Grundprinzipien“ für eine künftige Friedenslösung im ehemaligen Jugoslawien formuliert worden. Nach Angaben von Diplomaten sind die beiden wichtigsten Grundprinzipien die „Integrität“ Bosnien-Herzegowinas in seinen international anerkannten Grenzen vom April 1992 sowie die Aufteilung des bosnischen Territoriums in einen serbisch und einen muslimisch-kroatisch kontrollierten Teil, entsprechend der im Juni 94 vorgelegten Karte der Kontaktgruppe – das heißt im Verhältnis 49 zu 51. Nach Auskunft eines US-Diplomaten wird darüber hinaus eine „prinzipielle“ Bereitschaftserklärung zur gegenseitigen Anerkennung Serbiens, Kroatiens und Bosniens Teil der „Prinzipienerklärung“ sein. Westliche Diplomaten bezeichneten die Gespräche als „äußerst fragil“.

Seit Beginn des zunächst von UNO und EU moderierten Verhandlungsprozesses im Herbst 1992 wurden zwischen den Konfliktparteien zahlreiche derartige Grundsatzdokumente erarbeitet, zum Teil sogar förmlich unterzeichnet. Keine dieser Vereinbarungen wurde umgesetzt. Dennoch waren die Kontaktgruppen- Diplomaten gestern äußerst bemüht, die Erarbeitung eines Dokuments mit „Grundprinzipien“ während dieser Genfer Verhandlungsrunde als „großen Fortschritt im Friedensprozeß“ darzustellen. Über die Details der Bosnien- Karte, die von den Karadžić-Serben verlangte Konföderation mit Serbien, die von der bosnischen Regierung strikt abgelehnt wird, sowie über andere strittige Fragen soll erst bei späteren Runden verhandelt werden. Mit einem positiven Signal von diesem Genfer Treffen soll der Kongreß in Washington davon überzeugt werden, die für nächste Woche geplante erneute Abstimmung über eine Aufhebung des Waffenembargos gegen Bosnien zu verschieben. Holbrooke wollte unmittelbar nach Ende der Genfer Gespräche nach Washington fliegen, um Präsident Clinton zu unterrichten.

In Bosnien blieben die Serben zunächst bei ihrer Haltung, trotz der zunehmenden Angriffe der Nato ihre schweren Waffen von Sarajevo nicht abzuziehen. UN- Sprecher erklärten, die Nato-Einsätze würden wegen der günstigen Wetterbedingungen weitergehen. Auf dem Berg Ozren, 150 Kilometer nördlich von Sarajevo, wurde ein Sendemast getroffen; am Berg Igman wurde eine Luftabwehrstellung der bosnischen Serben von der Schnellen Eingreiftruppe zerstört. Insgesamt flog die Nato seit Beginn der Operation am 30. August rund 2.100 Einsätze.

Die UNO erwägt einen stärkeren Einsatz der Schnellen Eingreiftruppe gegen die schweren Waffen der bosnischen Serben. Bisher hielt sich der Verband in dieser Hinsicht zurück, um den Serben einen Abzug aus freien Stücken zu ermöglichen.

Der unter wachsendem innenpolitischen Druck stehende russische Präsident Boris Jelzin verschärfte unterdessen seine Kritik an der westlichen Bosnien-Politik. Sichtlich erregt rief er aus: „Warum werden immer nur die Serben bestraft und nicht auch andere Provokateure?“ Sein Sprecher erklärte gestern, daß es Zweifel an der Verantwortung der bosnischen Serben für den Granatenangriff auf Sarajevo gebe. Deshalb müßten die Luftangriffe sofort eingestellt und die neuen Beweise überprüft werden. Entschieden wandte sich Jelzin gegen die Erweiterungspläne der Nato. In seiner bislang schärfsten Kritik sagte er: „In ganz Europa würde dann die Flamme des Krieges aufflackern.“ Die Luftangriffe in Bosnien wertete Jelzin als ein erstes Zeichen dafür, was passieren könne, wenn die Nato bis an die Grenzen Rußlands vorstoße.

Verteidigungsminister Volker Rühe warf Jelzin gestern eine „unnötige Sprache der Konfrontation“ vor. In Moskau spiele wohl der innenpolitische Druck eine große Rolle, so Rühe. Andreas Zumach