„Gabi, wir zünden die Stadt an ...“

■ Gabriel Tetiarahi, Koordinator des polynesischen NGO-Netzes Hiti Tau, über die Aufstände auf Tahiti: Ein Übermaß an Frustration über die Verachtung der Franzosen

taz: Wer hat am Flughafen demonstriert?

Gabriel Tetiarahi: Jugendliche. Die meisten kommen aus den armen Vierteln. Es waren natürlich auch Anti-Atomtest-Aktivisten und Gewerkschaftsmitglieder zum Flughafen von Tahiti gekommen. Sie wollten dort jedoch nur friedlich demonstrieren.

Dann haben aber Gebäude gebrannt, und Läden sind geplündert worden.

Es waren vielleicht einige militante Gewerkschaftler darunter, aber nur sehr wenige. Vor allem waren es diejenigen, die am meisten unter den wirtschaftlichen und sozialen Problemen der Inseln leiden. Die meisten sind zwischen 15 und 25 Jahre alt, ohne Arbeit, ohne brauchbare Ausbildung. Die sind nicht mehr kontrollierbar.

Was hat das mit den Atomtests zu tun?

Wie die Umweltschützer haben sich die Gewerkschafter und die Kirchenmitglieder von der Entscheidung Chiracs sehr erniedrigt, sehr bestürzt gefühlt.

Und was hat die Unabhängigkeitspartei von Oscar Temaru damit zu tun?

Ich glaube, daß Temaru von den Ereignissen überrannt wurde. Die Angestellten der Gemeinde, die sich dem von den Gewerkschaften organisierten Generalstreik am Mittwoch angeschlossen hatten, haben nicht lange gefragt. Sie haben einfach die schweren Fahrzeuge der Gemeinde genommen und damit die Startbahn des Flughafens blockiert.

Hat Tahiti schon einmal solche bürgerkriegsartigen Szenen erlebt?

Oh ja, zumindest 1987 wurden bei einem Arbeitskampf noch mehr Zerstörungen am Hafen und in der Stadt angerichtet. Aber diesmal war eine viel stärkere Enttäuschung und Wut bei den Jugendlichen zu spüren.

Bei denen scheint ja viel durcheinander zu gehen: Protest gegen die Atomtests, die Forderung nach Unabhängigkeit und soziale soziale Probleme.

Die Demonstrationen, deren Katalysator die Atomtests sind, sind nur der Ausdruck der Probleme meines Volkes. Der Zorn der Leute auf den ersten Tests hin hängt aber sicher auch damit zusammen, daß sie seit Monaten in den Medien nur von der französischen Regierung und von Greenpeace hören. Die Probleme, das Leiden der Polynesier kommen nicht vor. Dieses erniedrigende Gefühl, für andere gar nicht existent zu sein, hat sich in Gewalt verwandelt. Übrigens habe ich am Flughafen beobachtet, daß Kamerateams angegriffen und die Autos von Journalisten zuerst angezündet wurden – zweifellos aus diesem Grund.

Das klingt nach Kritik an Greenpeace.

Ganz besonders Greenpeace hat die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf Moruroa gelenkt – auf seine eigenen Aktivitäten vor Moruroa.

„Das Blut wird in den Straßen fließen“, hat vor Beginn des Aufstandes ein hoher Funktionär der evangelischen Kirche orakelt.

Als ein paar junge Hiti-Tau- Mitglieder zu mir sagten, Gabi, wir brennen die Stadt ab, da fühlte ich, daß ich kein Recht hätte, ihnen das zu verbieten. Die wahre Gewalt geht von den Franzosen mit ihrer Bombe aus. Die Polynesier reagieren nur auf die Gewalt, die man ihnen antut. Wir haben schon so viele friedliche Proteste und Demonstrationen abgehalten, Unterschriftenlisten und Petitionen eingereicht – nie hat die Regierung in Paris – von de Gaulle bis Chirac – auch nur hingehört.

Könnten diese Emotionen zur Unabhängigkeit Tahitis führen?

Nein. Diesen Gewaltausbruch kann man nur bedingt in Zusammenhang mit der Unabhängigkeitsbewegung bringen. Die Unabhängigkeitsbewegung wie auch die Atomtestgegner nutzen zur Zeit natürlich die Gelegenheit, weil sie das Gefühl haben, daß die öffentliche Meinung weltweit auf ihrer Seite steht. Die Emotionen werden sich aber irgendwann wieder beruhigen. Es muß jetzt vielmehr darum gehen, daß die Jugendlichen einen Platz in der Gesellschaft finden können, dafür müssen wir kämpfen. Allerdings können sich die Proteste jederzeit wiederholen, wenn es eine Überdosis Frustration gibt. Interview: Nicola Liebert