"Frankreichs Angebot ist unrealistisch"

■ Karsten D. Voigt, außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, spricht sich gegen eine deutsche Mitverfügung über die französische Atomstreitmacht aus und fordert stattdessen eine bessere I

taz: Außenminister Kinkel will mit Paris über das Angebot sprechen, den atomaren Schutzschild Frankreichs auf Deutschland auszudehnen. Bietet Juppes Vorschlag Chancen?

Karsten Voigt: Dieser Vorschlag ist nicht neu. Ich habe solche und ähnliche Angebote aus Paris schon wiederholt gehört – vor allem dann, wenn die französische Nuklearpolitik umstritten war. Falls die französische Regierung aber bereit sein sollte, was noch unklar ist, in Zukunft ihre europäischen Partner, anders als bei den Atomtests im Pazifik – frühzeitig und umfassend über ihre Planungen zu infomieren, dann sollte man darüber reden.

Deutschland lebt unter dem atomaren Schutzschirm der USA. Wären Sie gegen die Ausdehnung des französischen Schirms?

Bislang hat es keinen solchen Vorschlag gegeben. Ich halte es auch für unrealistisch, daß die französische Garantie die amerikanische je ersetzen könnte.

Wäre nicht eine Internationalisierung der Kontrolle über gefährliche Waffen ein Fortschritt?

Ich sage es nochmal: Ich sehe ein solches Angebot nicht. Staatspräsident Chirac hat die Entscheidung über die Nukleartests in nationaler Souveränität getroffen und immer Wert darauf gelegt, daß die „Force de frappe“ in nationaler französischer Verfügung bleibt. Es gibt in Europa niemand, der eine Mitverfügung beansprucht. Man soll nicht etwas in diese Äußerungen Juppes hineingeheimnissen, was nicht darin ist.

Ist also die ganze Aufregung verfehlt?

Es lohnt sich sicher nachzufragen, was damit gemeint ist. Aber bisher geht der Vorschlag nicht über das hinaus, was auch in früheren Jahren schon gesagt wurde.

CDU/CSU-Fraktionschef Wolfgang Schäuble will auf eine nukleare Komponente europäischer Sicherheitspolitik nicht verzichten. Wie sieht das die SPD- Fraktion?

Die Reaktionen einiger Konservativer in Bonn sind aufschlußreicher als die Rede Juppes in Paris: Es wird wieder deutlich, daß es Teile der CDU/CSU gibt, die eine europäische Nuklearstreitmacht wollen. Die SPD will das nicht. Erst recht wollen wir keine deutsche Mitverfügung über atomare Waffen.

Wenn Frankreich im Entstehungsprozeß einer europäischen Sicherheitspolitik aber nicht auf die Atomwaffen verzichten will: Würden Sie dann eher auf die gemeinsame europäische Sicherheitspolitik verzichten als in die Mitverwantwortung für Nuklearwaffen einzutreten?

Die europäische Sicherheits- und Verteididungspolitik befindet sich zur Zeit im Stadium, wo über eine Kooperation nationaler Politik gesprochen wird. Sie befindet sich nicht im Stadium der Integration.

Die wollen Sie aber doch erreichen?

Ich hoffe, daß die Außen- und Sicherheitspolitik der europäischen Staaten sich aufeinander zubewegt, daß auch im militärischen Bereich die Integration fortschreitet. Aber es bleibt auf absehbare Zeit bei der nationalen Entscheidung über den Einsatz oder Nichteinsatz der jeweiligen Streitkräfte. Bei den Nuklearwaffen haben die europäischen Staaten bisher weder eine Vergemeinschaftung gefordert, noch haben sie Briten und Franzosen angeboten. Interview: Hans Monath