Es ist nicht einfach für ein Denkmal, in Würde zu altern: Gern wird Franz Beckenbauer zum Kicken gebeten, aber dann pappt das kahle Haar – das mag er nicht. Jetzt feiert er seinen Fünfzigsten, und alle machen „so ein Geschiß“. Von Detlev Vetten

Günstling und Götter-Spezi

Herr Beckenbauer, wissen Sie, was Sie tun?

„Wie meinen's jetzt des“, fragte er zurück und hatte dunkle Augen.

Na ja, was ein rechter Franz Beckenbauer ist, der wird in der Weltgeschichte von einem Glückshafen in den nächsten verschlagen. Soviel Dusel, wie ein Franz Beckenbauer hat, reicht für mehrere normale Menschenleben. Um einen Franz Beckenbauer reißen sich die Mitmenschen – gleich ob sie in Giesing leben oder Bundespräsident sind. Sogar „Kaiser“ wird er genannt. Er ist Weltmeister und Erfolgstrainer und Multimillionär und was sonst noch. Und dauernd soll er noch höher klettern im Olymp des Lebens. Weiß so ein Günstling eigentlich was er tut? Oder ist er nur mehr der Spielball seiner Götter-Spezl?

Franz Beckenbauer hat eine probate Methode entwickelt, unangenehme Augenblicke hinter sich zu bringen. Er fixiert seine Hände irgendwo – verschränkt sie vor der Brust, kreuzt sie hinter dem Rücken, versenkt sie in den Hosentaschen – und sieht traurig drein. Ein bißchen vorwurfsvoll, ein wenig träumerisch, Schlimmes ahnend. Auf der sonst so glatten Stirn werfen zwei, drei Längsfalten Schatten. Durch die Brille schimmert es dunkel. Sagen tut er rein gar nix. Ganz lange. Vielleicht vergeht die Situation wieder, und das Unangenehme verfliegt. Vielleicht.

Manchmal muß er sich dann aber doch stellen. Dann kriegt er ein entschlossenes Gesicht, strafft seinen Körper und wird unerwartet markig. Das sind dann die Augenblicke, in denen er Dinge sagt, die ihm hinterher leid tun. Aber es gibt eben diese Augenblicke, in denen auch dem perfekten Libero nur noch ein Befreiungsschlag hilft.

„Also, was wollen's noch einmal wissen?“

Ob Sie Herr ihres eigenen Lebens sind.

„Könnt' schon sein. Ich hab' keinen Grund, mich zu beklagen.“ Er tat Luft in die Brust. „Außerdem – es ist doch blödsinnig, immer nach dem Warum zu fragen. Immer wollen die Leute von mir einen tieferen Sinn wissen. Kommen immer gleich mit der Philosophie daher. Denken Sie vielleicht jede Minute darüber nach, ob Sie alles im Griff haben oder so?“

Dann stand er auf und trat ans Fenster. Arme hinter dem Rücken. Er gab keinen Mucks von sich. Thema beendet, sollte das wohl heißen. Es war in einem Vorort von Paris, wo er mit der Mannschaft von Olympique Marseille logierte. Kreuzunglücklich fühlte er sich als Trainer der Südfranzosen. Und dann wollte auch noch einer wissen, warum er sich in diese Situation hatte bugsieren lassen. Gleich gar nix würde er sagen.

Später – er hatte sich wieder zum Gespräch bequemt und redete über Unverfängliches wie Viererketten, WM- Erinnerungen und Wunderstürmer – fand er zu gewohnter Jovialität zurück. Irgendwann überkam ihn der Drang, Franz Beckenbauer erhob sich, latschte ins Badezimmer und schlug bei offener Tür das Wasser ab.

Es war ein langes kaiserliches Strullen, und es kann an Eides Statt und exklusiv versichert werden: Bei Majestät klingt's wie bei jedermann.

Nun begeht er seinen Fünfzigsten. Das Vorspiel zu seinem Geburtstag geriet zu einem in diesem unserem Lande noch nicht dagewesenen Spektakel. Beckenbauer wurde privat und öffentlich von den TV-Starmoderatoren ran-genommen. In der BILD erfuhr das Volk, wie es sich mit dem „Kaiser“ privat auskommen läßt und daß die Mama nach den Heimspielen des FC Bayern immer eine volle Kuchl hat, weil der Bub ein Dutzend Gäste zum Weißbiertrinken mitbringt. Jeder wollte als erster gratulieren, nur der Maier Sepp hat sich geziert, weil Glückwünsche vor dem Jubeltage Malheur bringen. In München haben sie ein Wies'n-Zelt hochgezogen, wo morgen abend die große Sause sein wird. Und außerdem haben's im Freistaat beinahe vergessen, daß der Franz Josef einen Todestag hatte. Alles wegen dem Franz.

Am Ende dieser Woche ist nachgewiesen: Irgendeiner hat Herrn Franz B. die Höchststrafe aufgebrummt: Lebenslang Denkmal. Die Rolle bleibt ihm. Da ist er reingerutscht, jetzt lassen sie ihn nicht mehr aus.

Sie, die kleinen und die großen Reporter, die sich daran aufgeilen, daß er so schnell per Du mit einem ist. Das sind die Großkopferten aus der Wirtschaft, die das dunkle Gefühl haben, daß das Leben an ihnen vorbeihuscht; und die in Franz' Nähe meinen, das Leben zu umarmen, weil er mit ihnen den Golfschläger

teilt. Das sind die Gottschalks und Carrells, weil Freundschaft mit Franz erwähnenswert und schlagzeilenträchtig ist. Das sind die Politiker, die wissen, wie gut ein Handschlag mit dem Franz auf die Wähler wirkt.

Also schmusen sie mit ihrem „Kaiser“. Sie lachen mit ihm und haben's immer nett. Und die Reporter – die großen und die kleinen – berichten, daß man's wieder mal nett mit dem Franz gehabt hat. Das wurde so beharrlich kolportiert, daß es mittlerweile auch jedermann im niederen Volk glauben tut. Franz for president – why not?

Das freundliche Bild vom charmanten Herrn B. ist so oft gepinselt worden, daß er es selber glauben muß. Und alle erwarten, daß er seinen Teil zur Imagepflege beiträgt. Wie unter Zwang verbreitet Beckenbauer bei seinen öffentlchen Auftritten Harmonie. In seinem Beisein mutieren selbst konfliktträchtige Begriffe zum Anlaß für Small talks: Sarajevo ist „ganz furchtbar“ (das muß schließlich gesagt werden dürfen); der Franzos' sollte sich die Atombombe doch gleich unterm eigenen Hintern anzünden (haha); ein Glück ist, wenn man nicht Hunger leidet und außerdem alle vier Jahreszeiten im Land hat und nicht so einen Dauersommer wie der Afrikaner; Geld ist nicht alles auf der Welt (halt, da gibt es doch noch ein paar Neider, die steif behaupten, für Beckenbauer sei die Mehrung der Knete seit Kindertagen die einzige Triebfeder gewesen; bei der Erziehung seiner drei Kinder habe er ein bisserl versagt (was bekanntlich für einen Kaiser ein läßliche Sünde ist).

Nein, das Ein- Mann-Stück des Franz Beckenbauer trägt nicht den Titel „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“. Er führt uns ein unbekümmertes Leben nach seiner Maxime vor, die da lautet: „Wer nicht mit dem Strom schwimmt, geht unter.“

Franz Beckenbauer mag keinen Ärger. Er will nicht streiten und seine Ruh' haben. Ungemach bereitet ihm allenfalls, daß er bei Wohltätigkeitsspielen manchmal ins Schwitzen gerät, das schüttere Haar auf dem Schädel dann pappt, und daß solcherart der dramatische Kahlschlag auf Kaisers Haupt erst richtig offenkundig wird.

Aber sonst? Nicht mal an seiner Midlifekrise – wenn es denn eine gab – hat uns Herr B. teilhaben lassen. Locker meistert er die unerträgliche Leichtigkeit seines Seins. Er will es den Leuten halt recht machen. Sie meinen es doch auch gut mit ihm. Sie laden ihn zu seinem Fünfzigsten ein und zahlen das ganze Weißbier. Sie sind immer furchtbar freundlich und lassen ihn überall hinein, wo VIP auf der Tür steht. Sie geben ihm viele Millionen dafür, daß er ihre Autos fährt.

„Mir geht's doch gut. Wenn nicht mir – wem dann?“ hat Franz Beckenbauer in der Woche vor seinem Geburtstag aberdutzende Male beteuert. Dann ist er weitergezogen zur nächsten Gratulationscour in der nächsten Stadt. Ein schier besinnungsloses Feiern und Gefeiert-Werden. Manchmal ist es ihm zuviel geworden: all diese strahlenden Freunde und Freunderl. Diese ichselige Schickeria mit ihrer Abbusselei. Das Schampusgesaufe. Das Erzählen von hundertmal erzählten Anekdoten. „Damals in Malente, als der Sepp...“

In diesen Augenblicken machte er den Oberkörper ganz steif und hatte diesen resignierten Blick. Aber dann riß er sich wieder am Riemen und zwang sich zum Mitspielen.

Und ein paarmal wollte er etwas erklären: „Ich weiß nicht, was der Rummel überhaupt soll. Überall auf der Welt passieren wichtige Sachen. Und hier wird so ein Gschiß gemacht wegen einem fünfzigsten Geburtstag. Das erstaunt mich schon.“ Aber weiter hat er dann nicht drüber nachgedacht. Warum auch? Für's Nachdenken wird er nicht bezahlt.