Wie leicht mir das aus der Feder fließt ...

■ Der womöglich bremischste aller Autoren wird wiederentdeckt: Friedo Lampe, von den Nazis als „unzüchtig“ verboten, vom prüden Nachkriegsdeutschland verschwiegen/ Ausstellung im Bremer Staatsarchiv

Seit neuestem gilt der Schriftsteller Friedo Lampe, 1899 am Osterdeich geboren und 1945 noch kurz vor Kriegsende in Berlin erschossen, seinen hanseatischen Wiederentdeckern als Bremer, als bremischer Autor – als der bremischste gar. Das mit den Superlativen kann auch heikel ausgehen. Nicht jeder überlebt die werbende Maximierung so unbeschadet wie der Weiße Riese sein strahlendes Waschprogramm. Literaten schon gar nicht. Doch posthume Werbeträger können sich schlecht wehren. Ist im künstlerischen Dämmerlicht der Wesermetropole der Dichterlorbeer jetzt zu Discountpreisen abzugeben?

Die gerade im Foyer des Staatsarchivs eröffnete Ausstellung „Friedo Lampe (1899-1945) Leben und Werk eines bremischen Schriftstellers“ übt sich in traditioneller Heldenverehrung. Im begleitenden Ausstellungskatalog der Achilla Presse dürfen alle die zu Wort kommen, die den Bremer Friedo Lampe schon immer zu schätzen wußten. Da bedauert Alma Rogge, daß Bremen seinen Dichter F. L. viel zu wenig gekannt habe. Wolfgang Koeppen lobt „Sätze voller Schwermut“ und adelt sie dann mit Ewigkeitsruhm: „Ich glaube, er zählt zum Bleibenden der deutschen Literatur.“ Spezifischer und lokalpatriotischer nur noch Herbert Heckmann, der feststellt, daß man Friedo Lampe vergesse, weil sein Blick so unbestechlich sei, das aber mache ihn zu etwas Besonderem, dem „bremischsten unter den Bremer Dichtern“.

Da schließt sich auch Jürgen Dierking vom Bremer Literaurkontor an. „Man merkt es auf jeder Seite. Durch die Zeilen schimmert immer diese bestimmte Atmosphäre durch, die nun mal typisch ist für Bremen. Man weiß sofort, wovon die Rede ist. Der Name braucht gar nicht genannt zu werden.“ Dierking entdeckte den vor 50 Jahren gestorbenen Autor schon in den 70ern: Im elterlichen Bücherschrank fand sich ein abgewetztes Exemplar. Auch wenn dem Buch Rücken und Deckel fehlten; daß der Text ein Trüffelfund war, spürte er in einer einzigen, langen Lesenacht – und behielt sich den Namen für später.

Friedo Lampe nutzt mit seiner Geburt eine der letzten Chancen, sich mit dem 19. Jahrhundert zu verbinden und kommt am 4. Dezember 1899 zur Welt. Nur kurz währt die normale Kindheit am Bremer Osterdeich 86. Schon mit vier Jahren zwingt ihn Knochentuberkulose zu langen Klinikaufenthalten auf Norderney. Eine lebenslange Gehbehinderung ist die Folge. Bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges bleibt ihm deshalb die Front erspart, eine Vergünstigung, die er mit Langeweile in der Küchenverwaltung des Heeres bezahlen muß. Auch während des anschließenden Studiums wird Ödnis das vorherrschende Gefühl sein. Obwohl er Literaturwissenschaft, Kunstgeschichte und Philosophie bei den eindrucksvollsten Köpfen der Zeit studiert, vermag ihn das Abfassen wissenschaftlicher Arbeiten nicht zu begeistern. Das ändert sich erst, als Lampe seine eigenen Geschichten zu schreiben beginnt. „Ich kann es gar nicht fassen, wie leicht mir das aus der Feder fließt. Schreibe solch eine Geschichte oft in einem Zug und muß auch wenig verbessern“, so der Glückliche.

Mit der Schriftstellerei hat Friedo Lampe nicht nur eine passende Beschäftigung gefunden, sondern offensichtlich auch gleich seinen Stil. „Ich schreibe wie man spricht, das ist mein ganzer Trick“, gibt der Autor, der mittlerweile als angesehener Lektor beim Schünemann-Verlag in Bremen und später bei Rowohlt in Berlin sein Geld verdient, zu Protokoll. Und hält damit alle zum Narren. Denn natürlich liegt die hohe Kunst genau darin, daß die komplizierten Dinge so schlicht und einfach wie möglich klingen. Als hätte man nur die Imbißsteher zwischen zwei Bockwürsten belauscht und deren Weltkommentare dann aufgeschrieben.

„Am Rande der Nacht“, „Septembergewitter“ und „Von Tür zu Tür“ nennt Friedo Lampe seine Texte, mit denen er ab 1934 als Schriftsteller in Erscheinung tritt und für die ihn, neben den Bremer Wiederentdeckern, Autoren wie Hans Bender schätzen. Der hält ihn noch heute für einen der wichtigsten Einflüsse auf sein eigenes Schreiben. „Friedo Lampe hat als einer der ersten Autoren in Deutschland die filmischen Schnittechniken in sein Schreiben integriert“, weiß Jürgen Dierking. „Er ging nicht nur leidenschaftlich gern ins Kino, er hat auch davon gelernt: Schuß/Gegenschuß, Aufblende und Zoom, alles findet sich schon in seinen Texten.“ (Wobei allerdings zu Lampes Zeit an Zoom-Objektive noch nicht zu denken war.) Und da sämtliche Texte in Bremen spielen, könnte man fast meinen, da sei nicht nur ein interessanter Autor vergessen worden, sondern möglicherweise der bremische Film mit Druckerschwärze gedreht worden.

Aber warum hat man diese wunderbaren Neuigkeiten nicht gewußt? Wieso braucht es nach dem Tode des Autors noch ein halbes Jahrhundert bis zur Wiederentdeckung? Unter den vom Pech Verfolgten nimmt Friedo Lampe eine ziemlich einsame Führungsposition ein. Fast keines seiner Bücher gelangt überhaupt auf die Verkaufstische in den Buchhandlungen. Im Klappentext zum Erstlingsroman „Am Rande der Nacht“ heißt es: „Es ist kein Zufall und keine Laune, daß das Ganze in wenigen Nachtstunden abläuft. Die Nacht ist Symbol. Alles Geschehen kommt aus dem Dunkel – dem undurchschaubaren, angsterregenden, verwirrenden, dem lockenden, lösenden, lullenden – und taucht darin zurück.“ Bereits vier Wochen nach dem Erscheinen wird der Roman als „unzüchtig“ von den Nazis beschlagnahmt. Drei Jahre später erscheint „Septembergewitter“ – pünktlich zum Weihnachtsfest. Allerdings so überpünktlich direkt zum Fest, daß die potentiellen Kunden ihre Geschenke schon eingekauft haben und der Band liegenbleibt wie angedübelt. Irgendwie dumm gelaufen, könnte man noch scherzen. Doch die unglückliche Karriere des Friedo Lampe hat noch weitere Unglücksfälle parat.

Als 1944 noch der Band „Von Tür zu Tür“ veröffentlicht wird, scheitert bereits das Erscheinen. Die fertigen Druckstöcke gehen 1944 in Flammen auf. Der Dichter selbst hat kaum mehr Glück als seine Bücher. Noch wenige Tage vor Kriegsende wird er von einem russischen Soldaten erschossen – versehentlich. Man hatte den Schriftsteller schlicht verwechselt. Hier könnte die Geschichte von Friedo Lampe zu Ende sein oder sich zumindest endlich vom Tonfall des Mißlingens befreien. Doch weit gefehlt. Die Pechsträhne wirft lange Schatten.

Noch 1955 erscheint im Rowohlt-Verlag der Roman „Am Rande der Nacht“ in einer verstümmelten Fassung. Die homoerotischen Neigungen, die da zwischen den Zeilen hindurchschimmern und 1933 als unzüchtig galten, sie werden auch heute noch dem Leser vorenthalten. Etwa 20 Seiten, so schätzt Jürgen Dierking, seien der Prüderie der 50er Jahre zum Opfer gefallen. Das hätte man 1985 endlich wieder gutmachen können. Eine neue Werkausgabe Friedo Lampe erscheint: mit neuem Nachwort, nur leider wieder mit verstümmeltem Text. Doch der Rowohlt-Band enthält auch ungekürzte Text, und sogar heute ist die Ausgabe noch erhältlich – theoretisch. Leider jedoch hat der Verlag es dem Friedo Lampe-Fan noch einmal besonders schwer gemacht. Diesmal hat man die ISBN-Nummer vergessen. Der Band ist im „Verzeichnis lieferbarer Bücher“, der Bibel der Buchhändler, gar nicht aufgeführt. Interessierte Leser müssen sich auch 1995 persönlich an den Verlag wenden. Und das bei Rowohlt, der doch in den Dreißiger Jahren nur 30 Hausnummern entfernt von den Lampes wohnte.

Bremen und Literatur, das sieht man auch an dieser mißglückten Nachbarschaft, das ist eine Beziehungskiste mit rostigen Nägeln. Dabei wäre für beide Seiten etwas zu holen, weiß auch Bender das Bremische an Lampe zu benennen: „Lampes Welt war norddeutsch. Seine Figuren sprechen im bremischen Tonfall. Die Ironie wäre nicht so spitz ohne die Steifheit und Knappheit, die den Norddeutschen kennzeichnen.“ Also doch ein Heimatdichter. Aber um welchen Preis.

Susanne Raubold

Die Friedo-Lampe-Ausstellung im Bremer Staatsarchiv läuft bis zum bis 22. September; begleitend ist auch ein schöner Begleitband bei der Achilla Presse erschienen: „Friedo Lampe 1899-1945, Leben und Werk eines bremischen Schriftstellers“