Das Coming-out beim Gemüsehändler

■ Bündnisgrüne Schwule diskutierten erstmals mit Migranten über ein Bündnis gegen Diskriminierung

Der Dialog zwischen Schwulen und Immigranten ist „längst fällig“, so die Bundesarbeitsgemeinschaft Schwulenpolitik bei den Grünen. Bei einem ersten Treffen mit Migranten am Samstag wurde aber auch deutlich, wie schwierig ein Dialog zwischen den beiden Minderheiten immer noch ist.

Die Ansprüche, die die Schwulen an sich selbst stellten, waren hoch: Von einem „erweiterten schwulenpolitischen Verständnis“ und einem „neuen Kooperationsstil“ war die Rede. „Für mich stellt sich nicht die Frage, ob wir zusammenarbeiten, sondern wie wir zusammenarbeiten, stellte Anselm Lange, schwuler Kandidat für die Wahl zum Abgeordnetenhaus, fest. Und der Bundestagsabgeordnete Volker Beck erhoffte sich von einem „breiten Minderheitenbündnis“ gar eine „größere gesellschaftliche Schubwirkung“, beispielsweise für ein gemeinsames Antidiskriminierungsgesetz.

Das Verhältnis von Schwulen und Immigranten ist konfliktträchtig: Türkische Jugendliche beklagen sich, im Prinzenbad von Schwulen angemacht zu werden. An Übergriffen auf Schwule sind häufig jugendliche Immigranten beteiligt. Rassismus gibt es auch in der Schwulenszene: Schwule Türken und Kurden werden von Türstehern einiger Schwulenbars zuweilen als Stricher abgestempelt, wie Selman Arikboga von der Schwulen Internationale berichtete. Bei manchen Schwulen stünden sie als „exotische“ Liebhaber hoch im Kurs.

Einfach ist der Dialog zwischen Schwulen und Immigranten nicht. „Wenn ich vor zwanzig Jahren eine Einladung zu einer Veranstaltung von Schwulen bekommen hätte, hätte ich sogar die Einladung versteckt“, sagte Kambiz Bahbahani vom Bundesvorstand Bündnis 90/Die Grünen. „Ich hätte das Gefühl gehabt, mich rechtfertigen zu müssen, daß ich nicht schwul bin. Schwul zu sein wäre für mich damals eine Schande gewesen.“ Daß Bahbahani heute ganz anders denkt, habe damit zu tun, daß er in der Kulturszene vielen Schwulen begegnet sei.

Einige der Immigranten-Vertreter hatten kurzfristig abgesagt, zum Teil, wie die Veranstalter vermuteten, weil ihnen das Thema zu problematisch sei. So diskutierte ein ausschließlich schwules Publikum mit einer Handvoll von Immigranten. Beim Versuch, Trennendes und Verbindendes auszuloten, dominierte dann doch die schwule Perspektive.

Volker Beck stellte auf dem Treffen einen Entwurf eines Antidiskriminierungsgesetzes vor, das Frauen, Lesben, Schwule, Migranten und Behinderte einschließt. „Die Schwulen haben viele Gemeinsamkeiten gesehen“, sagte Pari Teimoori vom Arbeitskreis Autonomer Frauenprojekte nach der Debatte. „Ich sehe die noch nicht.“ Die Debatte sei sehr „schwulendominiert“ gewesen. Sie habe sich zudem „sehr unter Druck gesetzt gefühlt“, zu erklären, wo sie eine Zusammenarbeit für denkbar halte. „Ich war zum erstenmal in einer Schwulenrunde.“ In zwei Stunden könne man nicht feststellen, ob es Sinn mache, ein gemeinsames Antidiskriminierungsgesetz einzubringen.

Verglichen mit den frühen achtziger Jahren haben die Schwulen sich jedoch weit auf die Migranten zubewegt. Damals hatte sich eine Gruppe von Schwulen bei einer Versammlung der Alternativen Liste (AL) noch gegen das kommunale Wahlrecht für Ausländer ausgesprochen, weil sie als Schwule in der U-Bahn von Türken angepöbelt würden, erinnerte sich der bündnisgrüne Abgeordnete Ismail Kosan. Er wünsche sich eine stärkere Zusammenarbeit der beiden Gruppierungen.

„Wir müssen die Begegnung suchen“, forderte der bündnisgrüne Abgeordnete Albert Eckert. Kambiz Bahbahani forderte die Teilnehmer auf, auch gegenüber Immigranten offen als Schwule aufzutreten. Was Moderator Günter Dworek zum Schlußwort veranlaßte, daß der Dialog dieses Tages hoffentlich am Montag beim Gemüsehändler fortgesetzt werde. Dorothee Winden