Auskömmliches Leben?

■ Betr.: Brasilien-Berichterstattung der taz

[...] Im Wirtschaftsteil erschien ein Artikel über die aktuelle wirtschaftliche Situation Brasiliens nach dem Präsidentenwechsel. Es handelte sich nicht um eine fundierte Analyse, sondern um eine zusammenhanglose Aneinanderreihung von Fakten, die z.T. auch noch sachlich falsch waren.

So berichtet die taz, der gesetzliche Mindestlohn reiche jetzt endlich zum Überleben einer Familie und führt als Beispiel den Fischverzehr an. Die Fakten: Der gesetzliche Mindestlohn beträgt 100 Reais pro Monat; 1 kg billiger Fisch, der bei sparsamer Haushaltsführung einer vierköpfigen Familie einen Tag reicht, kostet ca. 4 Reais (x30 Tage = 120 Reais); Busfahrten zur Arbeitsstätte schlagen mit zirka 25 Reais pro Monat und Person zu Buch. Das zum laut taz ausreichenden Einkommen durch den Mindestlohn (zur Erinnerung: zirka ein Drittel aller Arbeitnehmer erhalten nur den gesetzlichen Mindestlohn, vornehmlich Frauen).

Gleichzeitig wird berichtet, die Bundesregierung habe den Bundesstaaten São Paulo und Rio de Janeiro 3 Milliarden Reais für ihre konkursreifen Staatsbanken zur Verfügung gestellt, während brasilianische Zeitungen von 6 Milliarden Reais sprechen. Geld, wohl gemerkt aus dem Bundeshaushalt für die beiden reichsten Bundesstaaten Brasiliens, das im Gesundheits- und Erziehungshaushalt fehlen wird.

Im Artikel „Das Portrait – Femi-Funktionärin“ vom 1. 9. 95, behauptet die taz, auf dem Papier seien Frauen und Männer in Brasilien gleichgestellt. Auch falsch: Die Volljährigkeit (Wahlrecht) beginnt für Männer mit 18 Jahren, für Frauen mit 21 Jahren. Nach wie vor ist es z.B. brasilianischen Ehefrauen nur mit Zustimmung des Ehemanns und des Vormundeschaftsgerichtes gestattet, mit ihren Kindern allein zu verreisen. Andrerseits lassen sich Unterhaltsansprüche von Müttern gegen die Väter ihrer Kinder praktisch nicht durchsetzen. [...]

Was sagte doch kürzlich ein Minister aus dem Kabinett des von der taz so wohlwollend beurteilten Präsidenten Cardoso: „Ich kann das dämliche Soziologengewäsch in den Kabinettssitzungen nicht mehr ertragen“. [...] Gerd Schmücker