Reaktortechniker sterben aus

Oft sitzen nur noch drei StudentInnen im Vorlesungssaal / Professoren bieten auch Veranstaltungen zu alternativen Energien an  ■ Von Anne Kreutzmann

In Deutschland gibt es inzwischen mehr Atomkraftwerke als StudienanfängerInnen für Reaktortechnik. Für den vollständigen Studiengang haben sich im letzten Semester bundesweit nur 14 Studenten entschieden. Professor Jürgen Knorr, der auf dem Lehrstuhl für Kernenergietechnik an der Technischen Uni Dresden sitzt und außerdem die Kerntechnische Gesellschaft leitet, beklagt das schwindende Interesse an seinem Fach: „Studentenzahlen von drei bis fünf in einer Vorlesung sind heute keine Seltenheit mehr.“ Beim Deutschen Atomforum dämmert es inzwischen vielen, daß der schlechte Ruf der Atomenergie die eigentliche Ursache für das Desinteresse ist. Knorr nennt noch einen weiteren Grund für das Ausbleiben des Nachwuchses: „Der Arbeitsmarkt ist durch ein Überangebot blockiert. Es ist nicht klar, ob zukünftig überhaupt Kerntechniker gebraucht werden.“

An vielen Hochschulen sind Lehrstühle der Reaktortechnik beim Ausscheiden eines Professors schon umgewandelt worden. Nur noch in Aachen und Dresden wird der vollständige Studiengang angeboten. Und auch dort bieten die Dozenten vorsichtshalber schon mal eine Vorlesung „Alternative Energien“ – Sonne, Wind und Biomasse – an. Aber kampflos will man die technisch Interessierten nicht den neuen Energietechniken überlassen. So stolperten die Studies im Kármán-Auditorium der RWTH Aachen kürzlich über einen ungewöhnlichen Aushang. Professor Bitz macht in poppigen Farben Werbung für seine Vorlesung „Kernkraftwerke II“, die man sich einfach anhören muß, „um mitreden zu können“. Die Veranstaltung ist didaktisch und organisatorisch vorbildlich. Die zukünftigen ReaktortechnikerInnen werden auf eine Art und Weise betreut, von der die restlichen 99,98 Prozent der Aachener Studierenden nur träumen können.

Gern werden „die letzten ihrer Art“ zu Tagungen, Konferenzen oder Betriebsführungen eingeladen. Doch die Zahl der angesprochenen StudentInnen schwankt je nach Semester zwischen niemand und fast niemand. Beispiel Aachen: 400 bis 500 Maschinenbauer starten hier pro Semester. Gut ein Viertel von ihnen entscheidet sich nach der Vordiplomprüfung für die Energietechnik. Aber nur fünf haben sich im letzten Semester für das Wahlpflichtfach Reaktortechnik entschieden. Ein ähnliches Bild bietet die Uni Dresden.

Einen Vorwurf richtet Knorr auch an die Energieversorger: Die bilden im Zweifelsfall lieber fertige PhysikerInnen und MaschinenbauerInnen kerntechnisch weiter, als sich um die Ausbildungsmöglichkeiten an den Unis zu kümmern. Knorr: „Die Energieversorger sind sich ja selbst nicht sicher, ob Kernenergie auch in Zukunft genutzt wird.“

Die Schlüsselfrage ist, ob Deutschland weiterhin auf Atomenergie setzt oder ob die solare Wende vollzogen wird. Anzeichen, wie zum Beispiel das 100.000-Solardächer-Programm im Wahlprogramm der SPD, werden von Professoren sowie den Studierenden aufmerksam verfolgt. „Meine Eltern haben Angst, daß ich ein Fach ohne Zukunft studiere“, erzählt Eva Preushoff, Maschinenbaustudentin im 9. Semester, die sich nach dem Vordiplom für die Vertiefungsfachrichtung Reaktorsicherheit und Reaktortechnik entschieden hat. Die StudentInnen stehen fast durchgängig mit Begeisterung hinter ihrem Wunschfach. Die Sonnenenergie scheint für sie keine Alternative: „Zu teuer, zu uneffektiv.“ Als abschreckendes Beispiel erwähnt Professor Kugeler, Inhaber des Lehrstuhls für Reaktortechnik an der RWTH, in seinen Vorträgen die Stromgestehungskosten der Solarstromanlage der Kernforschungsanlage Jülich: 60 Mark pro erzeugte Kilowattstunde Solarstrom.

Aachen liegt im Spannungsfeld zwischen Sonne und Atom: Einerseits kommen die letzten AKW- TechnikerInnen hierher, andereseits schickt sich die Stadt an, eine der ersten „Solar-Citys“ Deutschlands zu werden. Künftig sollen die Erzeugungskosten für den noch relativ teuren Solar- und Windstrom nicht mehr vom einzelnen Anlagenbesitzer gezahlt werden, sondern über den Strompreis auf die Allgemeinheit umgelegt werden. Die Aachener Stadtwerke haben an der Uni Hannover ausrechnen lassen, daß die städtischen Dachflächen genügen, um 65 Prozent des Strombedarfs solar zu decken.