„Soft power" soll Sicherheit in Europa garantieren

■ Experten wollen die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) aufwerten. Rußland erlaubt „peace-keeping“-Truppen der OSZE

Berlin (taz) – „Die OSZE braucht eine strategische Perspektive, eine genauere Rollenbestimmung und engagierte Leute.“ Der Generalsekretär der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, Wilhelm Höynck, drängt vor allem auf eine völkerrechtlich verbindliche Absicherung der KSZE-Nachfolgeorganisation. Erst dann könne die OSZE eine wichtige Rolle für das Sicherheitsmodell Europas im 21. Jahrhundert spielen. Allerdings, welche andere Organisation könnte die langfristige Vermittlung zwischen Ost- und Westeuropa übernehmen?

„Die Nato bleibt das Rückgrat der militärischen Sicherheit Europas“, befand der derzeitige deutsche Vertreter in der Wiener OSZE-Zentrale, Ortwin Hennig, „aber die Nato-Erweiterung nach Osten und der Ausbau der OSZE schließen sich nicht aus.“ Gerade angesichts der jüngsten Drohungen des russischen Präsidenten Jelzin wächst die Bedeutung der Gremien, in denen Nato-Staaten und Rußland gleichberechtigt zusammenarbeiten. Aus diesem Grund drängt Moskau auch seit längerem darauf, den Status der OSZE zu erhöhen und die gesamte Organisation aufzuwerten.

Aus Sicht von Generalsekretär Höynck hat Rußland dazu in der letzten Zeit auch zwei wichtige Schritte getan. „Als erste Großmacht“, so Höynck, hat Rußland zugestimmt, daß die OSZE in einem internen Konflikt tätig werden darf. Die OSZE-Mission in Grosny ist ein echtes Präjudiz für die Zukunft. Und zweitens hat Rußland signalisiert, daß es eine multilaterale Blauhelmtruppe unter dem Kommando der OSZE in Berg Karabach akzeptieren würde.

Der Einsatz einer „peace-keeping“-Truppe zur Überwachung eines Waffenstillstandes zwischen Aserbaidschan und Armenien in Karabach wird von vielen OSZE- Insidern als die entscheidende Nagelprobe für die Zukunft der Organisation gesehen. Zwar ist die OSZE auch auf dem Balkan aktiv, ihre wichtigsten Missionen aber finden auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion statt.

In Karabach also muß sich zeigen, ob der Westen tatsächlich bereit ist, Truppen für eine OSZE- Friedensmission zur Verfügung zu stellen. Bislang ist der materielle und personelle Einsatz noch sehr bescheiden. Die größte laufende OSZE-Mission besteht in Georgien, wo aber auch nur 17 Leute tätig sind. Der gesamte Jahresetat der OSZE beträgt nicht mehr als 30 Millionen Dollar. „Man muß sich einmal vorstellen“, ereiferte sich Dieter Lutz, Chef der Hamburger Friedensforscher, „allein der Absturz der beiden Tornados jüngst über Bayern hat 140 Millionen Dollar gekostet.“

Tatsächlich wird an diesem Beispiel deutlich, was den wichtigsten westlichen Ländern präventive Diplomatie zur Zeit wirklich wert ist. Dabei ist zumindest theoretisch allen klar, daß Konfliktverhütung das erste Ziel jeder Diplomatie sein muß. „Soft power“, so Höynck, „ist das Schlüsselwort zukünftiger Sicherheitspolitik.“ Das Sicherheitsgefühl des Nachbarn ist ein entscheidender Bestandteil der eigenen Sicherheit. Damit die OSZE, zu der mittlerweile 53 Länder rund um die nördliche Erdhalbkugel gehören, diese Ziele erreichen kann, wurde bei der Hamburger Tagung ein Forderungskatalog diskutiert, den Ex-Außenminister Genscher einmal aufgestellt hat. Danach soll die OSZE

– völkerrechtlich verbindlich werden,

– neue Strukturen erhalten, die Mehrheitsentscheidungen zulassen,

– eine stärkere exekutive Präsidentschaft bekommen,

– Verfügungsgewalt über Friedenstruppen haben, im Sinne einer UN-Regionalorganisation

– und einen Sicherheitsrat bilden, der die Vollversammlung der 53 Staaten verantwortlich vertritt.

Generalsekretär Höynck machte allerdings auf einen viel banaleren Mangel aufmerksam, der für die OSZE entscheidend sein wird: Es fehlt an gutausgebildeten engagierten Diplomaten, Militärs und Juristen, welche die unattraktiven Bedingungen akzeptieren. Jürgen Gottschlich