Entweiht die Musiktempel

■ Der Architekt Daniel Libeskind über seinen spektakulären Entwurf für das Konzerthaus „Musicon“: ein offenes Haus für jede Tages- und Nachtzeit

Ein Glanzstück in der matten Bremer Architekturlandschaft soll das „Musicon“ werden – das versprechen sich zumindest die Initiatoren des Konzerthauses, das am Rande der Bürgerweide geplant ist. Die hohen Erwartungen gründen sich auf den extravaganten Entwurf des in Los Angeles lebenden Architekten Daniel Libeskind (vgl. taz vom 5.9.). Am vergangenen Wochenende stellte der Meister selbst seine Ideen in Bremen vor – auf einem Sonderstand der „hafa“. Dort sprach Sabine Komm mit ihm über seine Erwartungen an das Bremer Publikum.

taz: Könnte Ihr Musicon-Modell unter anderen Vorzeichen auch in Hamburg realisiert werden? Oder haben Sie den Bau ganz explizit für Bremen entworfen?

Die Art der Inszenierung, die Nachbarschaft zum Bahnhof – das ist völlig bremenspezifisch. Das Gebäude wird von der Umgebung geprägt und nimmt über seine Achsen Kontakt zur Umgebung auf. Zu den anderen Gebäuden auf der Bürgerweide, zu Bürgerpark, Altstadt. Das Musicon liegt am Schnittpunkt dieser ganzen Achsen. Die Musik findet im Zentrum des Ganzen, am Knotenpunkt, statt.

Die meisten Konzerthäuser liegen weit entfernt vom Stadtzentrum. War für Sie die Nähe zum Hauptbahnhof profane Nebensächlichkeit oder wichtiger Bestandteil?

Die Nähe zum Hauptbahnhof gefällt mir sehr, sehr gut. Ich finde, für ein Konzerthaus ist das ein äußerst ungewöhnlicher Ort. Und in gewisser Hinsicht sogar ein sehr futuristischer. In Berlin zum Beispiel lag Scharouns Philharmonie vor der Wende weit weg vom Schuß, am Rande der Stadt. Vielleicht, weil Musik eben doch als eine ganz spezielle Art der Unterhaltung angesehen wurde. Nur für die Leute, die zu den Veranstaltungen kommen. Aber das Musicon soll eben für alle dasein und allen zugänglich sein. Das ist mir wichtig.

Sie versprechen ein Gebäude, das dem Tag-und-Nacht-Rhythmus der Stadt gewachsen ist. Wie soll das funktionieren?

Ich will keinen abgeschlossenen Kasten bauen. Deshalb habe ich ein begrüntes Atrium eingeplant. Unter dem Konzertsaal kann man einfach spazierengehen, Tickets für Aufführungen besorgen, Bücher oder CDs kaufen. Es gibt gemütliche Ecken in diesem Musicon, die sonst ganz selten in großen Konzerthäusern sind. Und auch nachts sollen nach den Konzerten noch lange nicht die Lichter ausgehen. Die Leute können in Restaurants gehen, in den Foyers bummeln, den öffentlichen Raum nutzen. Ich habe alles daran gesetzt, den öffentlichen Charakter zu betonen.

Haben Sie den Konzertsaal ins Obergeschoß verbannt, weil er sowieso nur für zwei, drei Stunden pro Tag genutzt wird?

Genau. Doch dabei haben natürlich auch akustische Überlegungen eine Rolle gespielt. Ein abgehobener Konzertsaal ist längst nicht so stark dem Verkehrslärm ausgesetzt. Transporteingänge und Eingänge für Musiker haben so Platz gefunden. Und natürlich stecken auch ästhetische Gesichtspunkte dahinter. Durch diesen erhöhten Konzertsaal ist die Stadt das eigentliche Foyer. Der Konzertsaal wird durch die verschiedenen Achsen der Stadt eingeleitet.

Und diese Achsen finden sich in den Tribünen für 2500 Zuschauer wieder?

Hier war mir eher die Intimität wichtig. Durch die unterschiedlichen Tribünen will ich die Menschen akustisch und optisch ganz nah an die Musik heranbringen. Mir ging es nicht darum, eine große anonyme Box zu schaffen, technisch perfekt, in der die Leute weit entfernt von der Musik sitzen.

Auch architektonisch haben Sie sich mit dem offenen Grundriß Ihres Konzerthauses von der Idee des klassichen Musiktempels losgesagt.

Ganz genau. Mein Konzerthaus sieht nicht aus wie ein Tempel, es funktioniert nicht wie ein Tempel. Es soll kein Repräsentationsbau sein, kein geweihter Ort. Sondern ein ganz modernes Gebäude mit Liften, Treppen, Rolltreppen, Unterbrechungen, Zwischengeschossen, Beziehungen zur Stadt. Außerdem habe ich die Grundfläche auf ein Minimum reduziert. Der ganze Bau steht auf drei Beinen, damit das Musicon nicht zu massig wirkt und das Erdgeschoß zur Parkanlage geöffnet ist ...

... große Glasflächen sollen den Bau transparent machen ...

... nicht nur. Die Transparenz des Musicon ist sicherlich nicht nur wörtlich zu verstehen. Der ganze Charakter dieses Baus soll offen sein. Dazu gehören die Beziehungen zur Stadt. Dazu gehört, daß das Gebäude nichts Blockhaftes hat. Es ist eine Eintrittshalle, nach allen Seiten offen, kontrolliert durch die zentrale Bedeutung der Musik.

Ökologische Aspekte wie Sonnenkollektoren und Befeuchtungsanlagen haben bei Ihrer Planung eine große Rolle gespielt. Doch bei den Baustoffen haben Sie sich nicht nur an energiepolitische Spielregeln gehalten,

Nicht nur. Natürlich werde ich im Innenraum viel Holz verwenden. Denn für die Akustik braucht man ein weiches Material, das absorbiert und reflektiert. Außen will ich ganz unterschiedliche Materialien mixen. Für die grüne Lobby stelle ich mir viel Glas vor, ganz im Stil der traditionellen Pariser Palmenhäuser und Galerien. Die Metallelemente nehmen auf Industriebauten, die Betonteile auf historische Gebäude in Bremens Häfen und auf die Stadthalle Bezug. Das Musicon ist ein Gebäude, das offen ist für Vergangenheit und Zukunft.

Fragen: Sabine Komm