■ Liedgut der Jugendfreizeit – politisch nicht ganz korrekt
: „Negeraufstand ist in Kuba“

München (taz) – Zehntausende Stadtkinder werden jeden Sommer ein paar Wochen in die „Ferienverschickung“ entsorgt. Jugendämter und Wohlfahrtsverbände überbieten sich gegenseitig, dem Nachwuchs aus sozial schwächeren Schichten Urlaub Marke „Raus- aus-der-Plattensiedlung“ anzudienen, vom Zeltlager an der Ostsee bis zum Bergbauernhof in Südtirol. Betreut von angehenden ErzieherInnen im Praktikum und StudentInnen, dürfen die Kinder „wandern, spielen, schwimmen, herumtollen, neue Freunde kennenlernen und viel, viel Spaß haben“.

Mit dabei, damit auch die richtige Lagerromantik aufkommt, ist immer eine Klampfe. Ein paar Griffe, C, G7 und F reichen völlig, und, falleri, fallera, schon reiten die Blauen Dragoner und der Blankensteinhusar mit klingendem Spiel durch das Tor. In extra Liederbüchern wie der legendären „Mundorgel“ oder dem „Kilometerstein“ sind die Klassiker des Jugendliedguts zusammengefaßt: Wir lagen vor Madagaskar und hatten die Pest an Bord. Wie originell. Wildgänse, Bolle, Hobelbank, Im Frühtau zu Berge. Auch der Harung, jung und schlank, fehlt nie. Seit den Lagerfeuern des Jungvolks scheint da nichts dazugekommen zu sein.

Ein weitverbreitetes Liederbuch, herausgegeben vom Münchner Franziskanerkloster St. Anna, bietet neben dem Heino-Klassiker Schwarzbraun ist die Haselnuß (Seite 181) jede Menge Landsknecht- und Soldatenromantik: Sollten wir einst liegenbleiben in der blutdurchtränkten Schlacht (Seite 164). Das Liederbuch im praktischen Gesäßtaschenformat findet auch beim Bayerischen Roten Kreuz Verwendung. Die Abteilung Sozialarbeit rüstete damit ihre FerienbetreuerInnen aus. Daß im Machwerk „Der Bettelmusikant“ auch alte Nazilieder vorkommen, schien bislang nicht zu stören: Da trat in ihre Mitte ein Römer mit deutschem Gruß, Heil Hitler, ihr alten Germanen, ich bin der Tacitus. (...) Nun trat in ihre Mitte ein alter Araberscheich: Auch wir sind Indogermanen und wollen heim ins Reich (Seite 154).

Und dann vergewaltigt da noch ein Jäger ein Mägdlein: Er warf ihr das Netz wohl über den Arm, da schrie das Mägdlein, daß Gott erbarm. Er warf ihr das Netz wohl über den Fuß, daß sie zu Boden fallen muß. Er warf ihr das Netz wohl über den Leib, da ward sie des jungfrischen Jägers Weib, Halila hussassa tirallalla (Seite 98).

Anderswo heißt es: Drum lautet die Parole, küß niemals eine Polin, sie ist so schwach. Schaff dir ein Bayernmädel (Wiener Mädel) an, das mehr vertragen kann ... (Seite 161).

Auch außereuropäische Folklore („Umba, umba, assa, assa“) kennt der Bettelmusikant: Negeraufstand ist in Kuba, Schüsse peitschen durch die Nacht, in den Straßen von Havanna werden Weiße umgebracht. (...) In den Bäumen hängen Leiber, drunter stehen Negerweiber, und die denken wie besessen an das nächste Menschenfressen. Weiter geht's im Machetentakt – schlimmer noch, liebe bayerische Landfrauen, als im Horrorvideo: In den Straßen fließt der Eiter, der Verkehr geht nicht mehr weiter, an den Ecken sitzen Knaben, die sich an dem Eiter laben (Seite 137).

Beim Präsidium des Bayerischen Roten Kreuzes war man auf taz-Nachfrage hinlänglich entsetzt, daß derlei Liedgut immer noch im Umlauf ist. Man versprach, daß „Bettelmusikant“ bis zum nächsten Sommer ausgebettelt habe. Die Herausgeber, die Franziskaner von St. Anna, waren weit weniger konziliant: Der Ordensobere, Frater Bernhard, meinte lapidar, die Gruppenleiter müßten Lieder, die ihnen nicht gefielen, ja nicht mit den Kids singen. Colin Goldner