Die Bulemie der Binden

■ Ganz normal dick: über die neue, alte Binde von "always"

Die Binde an sich ist weiblich, nicht nur grammatisch.

Was das im Yoguretten-Zeitalter zu bedeuten hat, lag bisher auf der Hand: Wie Supermodels, Atmosphäre und Verwaltung folgte auch die Evolution der Monatsbinde der Magersucht-Direktive. Sie wurde dünner, noch dünner, superdünn.

„Schluß damit!“ muß sich der always-Produzent Procter & Gamble da wohl gesagt haben. Seit neuestem schickt er einen wohl revolutionär zu nennenden always-Spot in den TV-Äther, der endlich aufräumt mit dem Magerwahn.

Man kann das zuerst einmal eine marktwirtschaftlich vernünftige Einsicht nennen. Auf lange Sicht nämlich entwickelt sich die immer dünnere Binde zwangsläufig zu einem ruinösen Selbstläufer, indem die einstigen Bindengenerationen der always supra oder always megaperls sich eines Tages – schwupp – völlig „verdünnisieren“ werden. Die superdünne always ultra ist halt schon so dünn, dünner geht's nicht.

Das hat nun ein Ende. Mit dem neuen always-Spot schickt sich Procter & Gamble an, das durch und durch bulimische Verhalten unserer sogenannten Konsum- beziehungsweise Wegwerfgesellschaft als überkommen zu outen und unserem Fortschrittsdenken ganz pluralistisch Paroli zu bieten: „Die dünne kennen sie“ heißt es lakonisch im neuem always-Opus, „aber die dicke?“ – Nein, so müssen wir rhetorisch geschulten FernsehkonsumentInnen gestehen, die dicke kennen wir nicht (Wobei das nicht so ganz stimmt, denn sie lagen ja schon immer da, die dicken Binden, ganz am anderen Ende des Drogerieregals).

Nur waren wir uns doch spätestens seit 1978 alle einig: „Dicksein ist 'ne Quälerei“, und „dünn bedeutet, frei zu sein“. Aber unserer keimenden Skepsis wird sogleich der Wind aus den Segeln genommen.

Denn dafür gibt es Ilona Steiner, neben Susanne Speer das neueste Produkt aus den always- Image-Labors, die schon die bewährte Nicole Okai und vermutlich auch Claudia Nolte generierten.

Ilona Steiner also hat, wie sie sagt, die dicke Binde „lange genug kritisch beäugt“, um abschließend zu bekennen: „Ja, ich kann ihr vertrauen.“ Ist doch toll: Wer sich früher nach dem Einkauf noch mit einem Pack always ultra über die Unbill des Lebens hinwegzutrösten versuchte („Wieso dick? Ich trag' doch ganz dünne Binden ...“), kann es sich als junge Frau von heute leisten, einfach den dicken zu vertrauen. Das spiegelt doch ein neues Lebensgefühl.

Waren die zur letzten Weihnachtszeit von H & M erfolgreich zur Schau gestellten Formen von Anna Nicole Smith nur ein Hieb ins Gesicht aller selbsternannten Megababes, so ist die neue Botschaft von always noch mehr als ein Schlag unter deren Gürtellinie.

Wenn Susanne Speer von dem Gefühl spricht, „sicher geschützt“ zu sein, so verrät das Grundsätzliches: „Sicher geschützt“ sein, nicht wahr, wer will das nicht; man hört ja soviel ... Gott, ja, da ist es sachdienlich, daß Monatshygiene mittelfristig ebensowenig aus der Mode kommt wie Bürgerwehren, das Dixi-Klo, Gottvertrauen oder repressive patriarchalische Strukturen.

Es ist nur ein kleines Wort, unauffällig in die Schlußsentenz des Spots eingefügt, das die Tragweite der neuen always-Strategie sinnfällig werden läßt. Dort nämlich wird die dicke Monatsbinde, die man uns vorstellen wollte, auf einmal zur „normal dicken Binde“.

Die dicke Binde ist so normal wie die als Novität präsentierte Illustration, daß eine dicke Binde saugfähiger ist als eine dünne. Klar ist das normal. Verwirrend ist nur, daß es jahrelang genau umgekehrt war. Always setzt ganz auf die suggestive Kraft des Normalen als Inbegriff dessen, was uns spontan so sinnvoll erscheint, wie zum Beispiel eben das Dixi-Klo.

Mißmutig behauptet die Konkurrenz noch immer, die Geschichte der Menstruation sei eine Geschichte voller Mißverständnisse. – „Schluß damit!“ rufen wir entnervt. Die neuen Historikerinnen der Menstruation sind dünn wie eh und je, und trotzdem – hört, hört! – trotzdem sind ihre Binden dick!

Derweil Ilona und Susanne ihr Credo aufsagen, schweift unser Blick hinüber zu dem Fenster im Bildhintergrund: Schemenhaft gewährt es den Ausblick auf ihre sonnendurchfluteten Vorstadtvorgärten. Warum sollte diese ungetrübte, „geregelte“ Idylle des Normalen haltmachen vor der eigenen Unterhose? Christoph Schultheis